zwei verbreitete Irrtümer

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Es gibt zwei Arten von fachlichen Irrtümern. Der erste ist eine schlichte Fehlinformation, bspw. die Annahme, daß man nur drei Nachmieter stellen muß und dann vorfristig aus einem Mietvertrag raus kommt, oder daß man den Vermieter nicht fragen muß, wenn man einen Verwandten mit einziehen läßt. Solche fehlerhaften Annahmen waren früher, vor den Zeiten von Dr. Google, häufiger und kommen im wesentlichen bei Nichtjuristen vor.

Und dann gibt es die Irrtümer, die auf falschen Schlußfolgerungen oder zu kurz gedachten, aber korrekten Informationen beruhen, also Denkfehler. Die sind tückisch und passieren nicht nur Juristen, sondern sind häufig auch Grundlage parlamentarischer Vorträge oder politischer Konzepte. Ausführlich durchdachte Schlußfolgerungen findet man bei Google eher weniger und außerdem muß man dazu etwas mehr lesen. Deshalb scheint mir die Häufigkeit dieser unabhängig vom potentiellen Zugang zu Information zu sein. Zwei Beispiele aus dem Immobilienrecht:

Denkfehler Nr. 1: Der Vermieter kann alle 3 Jahre die Miete um 15% (20%) erhöhen, das ist mehr als die Inflation und damit eine Übervorteilung der Mieter. Man muß das auf das Inflationsniveau absenken.

Richtig ist, daß eine Mieterhöhung durch die sog. „ortsübliche Vergleichsmiete“ begrenzt ist, § 558 BGB. Diese wird gebildet durch die Mietänderungen und Neuabschlüsse der letzten 4 Jahre, was durch aufwendige statistische Erhebungen ermittelt und dann, mit diversen Kürzungen, in Mietspiegeln veröffentlicht wird. Die Verdurchschnittlichung der Werte auf einen 4-Jahres-Zeitraum und der Einbezug von Mietänderungen in laufenden Verträgen führen zu deutlich geringeren Werten als bei der reinen Neuvermietung. So soll eine 100qm große Altbauwohnung in mittlerer Wohnlage nach dem Berliner Mietspiegel 2017 durchschnittlich 6,39 Euro/qm Nettokaltmiete kosten (Feld K1). Schaut man bei Immoscout nach so einer Wohnung, findet man jedoch im wesentlichen Angebote zwischen 13 bis 18 Euro nettokalt/qm, d.h. zum doppelten bis dreifachen der ortsüblichen Vergleichsmiete. Der Mietspiegel enthält also nicht die Werte, die die heutige Marktlage abbilden.

Was passiert nun, wenn ein Vermieter eine Wohnung für, sagen wir, 9 Euro/qm nettokalt neu vermietet? Er liegt über dem Mietspiegel. Irgendwann wird sich der Wert des Feldes K1 diesen 9 Euro annähern. Das wird aber 10 Jahre dauern. In diesen 10 Jahren ist dem Vermieter keine Mieterhöhung möglich, denn die ortsübliche Vergleichsmiete ist ja schon erreicht oder überschritten.

Was bedeutet dann die 15%-Grenze? Ganz einfach: sie ist eine zusätzliche Kappung. Als im Jahr 1972 gesetzlich verankert wurde, daß Wohnraummietverträge vom Vermieter nicht ohne Grund gekündigt werden können, schuf man als Gegengewicht die Möglichkeit, die Miete zu erhöhen. Der Vermieter sollte zwar seine Wohnung nicht einfach zurück verlangen können, aber er sollte zumindest mit ihr immer die Miete erzielen können, die am Markt erzielbar war. Das konnte zu deutlichen Steigerungen führen, wenn lange nicht erhöht worden war. Also kappte man das später zusätzlich auf zunächst maximal 30%, später 20%, aktuell 15% pro Mieterhöhung und sah zeitliche Begrenzungen im Erhöhungsturnus vor.

Uralte Mieten haben wir zum Beispiel in Kreuzberger Altbauten noch recht häufig. Es gibt Vermieter, die haben nie Mieten erhöht, sondern bei Neuverträgen immer deutlich mehr genommen und das dann einfach stehen lassen, bis der Mieter auszog. Wenn das 20 Jahre dauerte, blieb die Miete eben 20 Jahre gleich. In der Mischung des Hauses war die Miete bei diesem Modell durchschnittlich, also passend. Das geht heute nicht mehr, denn wenn Mieter ausziehen, dann kündigen sie nicht den Vertrag, sondern sie vermieten teuer unter und erzielen damit gute Erträge, nämlich die Differenz zwischen ihrer eigenen, 20 Jahre alten, Miete und der heutigen Marktmiete. Also reagieren die Eigentümer und passen die Mieten an. Wenn die alte Miete 5 DM/qm betrug = heute rund 2,50 Euro, dann sind 15% hieraus 38 Cent. Es ist also eine Erhöhung auf maximal 2,88 Euro möglich, dann muß man drei Jahre warten und kann wieder um 15% erhöhen, beim nächsten Mal sind das 43 Cent. Das gilt auch dann, wenn die Marktmiete eigentlich bei 18 Euro liegt. Ein solcher Vermieter wird den Rest seines Lebens die Marktmiete nicht mehr erreichen, selbst wenn er jeden Erhöhungsschritt, der möglich ist, durchführt.

Eine solche Mieterhöhung um 38 Cent ist in der Mietspiegelstatistik eine Mietänderung innerhalb der letzten 4 Jahre und fließt in den Gesamtdatenpool mit ein. Das wiederum senkt das allgemeine statistische Gesamtniveau. Die 15%-Grenze ist also indirekt eine doppelte Kappung von Mieterhöhungsmöglichkeiten, nicht deren Beförderung.

Wenn das nächste Mal jemand ruf, daß die 15% zu hoch sind und/oder abgeschafft gehören, dann wissen Sie, daß er entweder keine Ahnung hat, wovon er spricht, oder daß er Sie gezielt mit falschen Argumenten instrumentalisieren will.

Denkfehler Nr. 2: Ein Verbot, Häuser in Eigentumswohnungen aufzuteilen, schützt die Mieter.

Aus einer sog. Umwandlung folgt für die Mieter des Hauses eine einzige Gefahr, nämlich die, daß ihre Wohnungen von privaten Menschen gekauft werden, die selbst da einziehen wollen. Das Risiko einer Eigenbedarfskündigung erhöht sich.

Dem begegnet das Gesetz mit zwei Maßnahmen:

  • Zum einen verbietet es mit § 577a BGB die Eigenbedarfskündigung für 3 Jahre ab dem grundbuchlichen Eigentumswechsel auf den ersten Wohnungskäufer und erlaubt, diese Frist auf bis zu 10 Jahre zu verlängern. Berlin schöpft die Frist aus. Eine Wohnungsumwandlung führt damit in Berlin zu einem um 10 Jahre verlängerten Kündigungsschutz für die Bestandsmieter, also einem rechtlichen Vorteil, den die Mieter vorher nicht hatten.
  • Zum anderen erhalten die Bestandsmieter ein Vorkaufsrecht (§ 577 BGB). Das bedeutet, daß die Mieter die Möglichkeit erhalten, ihre Wohnung zu kaufen, vorrangig vor jedem externen Interessenten.

Beides ist für die Bestandsmieter eine tolle Sache. Andere Risiken sind mit einer Umwandlung nicht verbunden. Insbesondere hat eine Umwandlung nichts mit einem Hinausmodernisieren zu tun. Richtig ist, daß Häuser, die zu Wohneigentum werden sollen, vom Aufteiler vorher idR. hübsch gemacht werden: Fassade und Treppenhäuser werden gestrichen, der Hof erhält neue Fahrradständer, Uralt-Heizungen werden erneuert und so weiter. Die finanziellen Belastungen für den Mieter sind gesetzlich gekappt auf das, was er bezahlen kann, nämlich zwischen 30 und 40% des Haushaltseinkommens. Dafür erhält er ein aufgewertetes Wohnumfeld. Unnütze Arbeiten mit dem alleinigen Ziel der Mietsteigerung werden Aufteiler nicht durchführen, denn diese erhöhen nicht den erzielbaren Kaufpreis. Wenn hingegen nicht aufgeteilt werden kann, sind die Anreize für einen Investor viel höher, durch möglichst große Modernisierungsumlagen die Altmieter zu einem Umzug zu bewegen. Höhere Mieten ergeben bei gleichbleibender Rendite einen höheren Kaufpreis für das Objekt im Ganzen. Aufteilung schützt vor einem Hinausmodernisieren, statt es zu fördern!

Was bedeutet vor diesem Hintergrund ein Aufteilungsverbot für die Mieter wirklich? Im wesentlichen, daß sie nie die Gelegenheit erhalten können, die Wohnung, in der sie leben, zu kaufen. Wenn ein Mieter in Wohneigentum wechseln will, muß er umziehen. Das ist die erste Hürde. Da Altbauten in Berlin weitgehend dem Aufteilungsverbot unterliegen, ist der Markt entsprechend eng, was die Preise treibt und die Leute in Neubauvorhaben umlenkt, was noch teurer und rechtlich riskanter ist. Das ist die zweite Hürde. Wen das noch nicht davon abhält, den konfrontiert der Staat mit einer Steuerforderung von (in Berlin) 6% auf den Kaufpreis. Die Steuerforderung wird von den Banken nicht mitfinanziert, muß also aus eigenem Geld kommen. Ein Kaufpreis von 300.000 Euro setzt damit voraus, daß der Mieter 18.000 Euro gespart hat, die er nur für die Steuer ausgibt. Spätestens dieser letzte Punkt führt dazu, daß die meisten Mieter lieber Mieter bleiben oder auch keine andere Wahl haben.

Im Kombination von Aufteilungsverbot, journalistischer Fehlinformation und Steuer ergibt sich eine staatliche Lenkungswirkung, die die Leute in Mietabhängigkeit hält und privaten Vermögensaufbau als Altersvorsorge blockiert.

Wie es statt dessen sein könnte…

Stellen wir uns vor, wie es statt dessen sein könnte: Der Staat wirbt unter Eigentümern dafür, Häuser aufzuteilen und sie den Mietern zu verkaufen. Es gibt Steuervorteile auf den Verkaufserlös an die Eigentümer, die das tun. Die Grunderwerbsteuer, also die Besteuerung der Erwerber auf den Kauf, wird für die selbst zu bewohnende Einheit komplett abgeschafft. Es gibt ein Baukindergeld, das die weiteren Nebenkosten eines Ankaufs finanziert, und die KfW fördert „Wohnen im Eigentum“ mit zinsvergünstigten Darlehen auf pauschal die Hälfte des Gesamtkreditbedarfs und springt bei Älteren ein, die ansonsten von den Geschäftsbanken keinen Kredit mehr erhalten würden. Die Politik wirbt für den Wechsel aus Mietabhängigkeit in Eigentum.

Bei einem solchen Szenario würden verschiedene Dinge passieren. Zunächst würden wir vermutlich bald keine Geschichten von über 80jährigen mehr lesen, die die neue Mieterhöhung nicht bezahlen können. Altersarmut würde zurückgehen. Der Wohlstand in der Bevölkerung würde insgesamt wachsen, damit auch die Krisenresistenz, und das Immobilienkapital würde sich gleichmäßiger unter allen Bevölkerungsgruppen verteilen. Die Relevanz von Mietpreisen würde nachlassen oder ein Thema für Randgruppen. Staatliche Beihilfen zu Mieten für einkommensschwache Haushalte könnten großzügiger bemessen werden, da die Anzahl der Fälle deutlich abnähme. Insgesamt erhielten die Menschen einen Teil ihrer Eigenständigkeit und Selbstverantwortung zurück.

Wenn Ihnen das nächste Mal jemand sagt, daß wir Aufteilungen verbieten müssen, um die Mieter zu schützen, dann wissen Sie jetzt, daß er entweder keine Ahnung hat, wovon er spricht, oder daß er Sie gezielt mit falschen Argumenten instrumentalisieren will.

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