LG Berlin: Mietspiegel 2021 = einfacher Mietspiegel und taugliches Begründungsmittel

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Urteile vom 24.05.2022 zum Az. 65 S 189/21 und vom 09.06.2022 zum Az. 67 S 50/22

Zwei verschiedene Mietberufungskammern des Landgerichts Berlin haben sich mit dem Mietspiegel 2021 auseinandergesetzt: die eine hält ihn inhaltlich für anwendbar, die andere jedenfalls für ein formal ausreichendes Begründungsmittel bei Mieterhöhungen. Schauen wir uns das genauer an:

Variante 1: Mietspiegel 2021 = einfacher Mietspiegel

Die Zivilkammer 65 hat sich dafür entschieden, den Mietspiegel 2021 für einen einfachen Mietspiegel iSd. § 558c BGB zu halten. Die – recht lange – Argumentationskette lautet wie folgt:

  • Das Gesetz stellt keine Anforderungen an die Erstellung einfacher Mietspiegel.
  • Damit stellt das Gesetz an einen einfachen Mietspiegel auch keine Anforderungen an die Datenerhebung oder ob es überhaupt eine Datenerhebung gibt.
  • Einfache Mietspiegel können fortgeschrieben werden. Dafür gibt es keine gesetzlichen Anforderungen.
  • Der Mietspiegel 2019 sei ein fortgeschriebener qualifizierter Mietspiegel 2017. Zugleich sei er aber auch ein „neu erstellter“ einfacher Mietspiegel. Denn wenn es nach vorstehendem keine gesetzlichen Voraussetzungen für „einfache“ Mietspiegel gebe, kann ein qualifizierter fortgeschriebener Mietspiegel zugleich ein neu erstellter einfacher Mietspiegel sein.
  • Als neu erstellter einfacher Mietspiegel könne der Mietspiegel 2019 seinerseits einmal fortgeschrieben werden. Das Abstellen auf einen 4jährigen Erhebungszeitraum, welches aus dem 2019er Mietspiegel übernommen werde, ist damit von der Übergangsregelung in Art. 229 § 50 EGBGB gedeckt.
  • Da es für diese Fortschreibung keine gesetzlichen Regeln gebe, sei es unschädlich, daß für den Mietspiegel 2021 keine Datenerhebung stattgefunden hat.

Einen Ausblick auf eine mögliche zukünftige Betrachtung gibt Seite 12 untere Hälfte, Zitat:

„Da aber das Gesetz ebenso wie die BBSR-Hinweise schon keine Anforderungen an die Erstellung einfacher Mietspiegel vorgeben, insbesondere nicht in Bezug auf die Datenbasis, stellt sich jede Anpassung eines (einfachen und/oder qualifizierten) Mietspiegels … als Neuerstellung eines einfachen Mietspiegels dar.“

Daß der Mietspiegel 2021 von sämtlichen Vermieterverbänden Berlins nicht anerkannt wurde, schadet nach Seiten 15 und 16 des Urteils nicht. Denn durch ihre Teilnahme an der Arbeitsgruppe Mietspiegel hätten sie ja mitgewirkt, das reicht aus.

Das ganze – zum heutigen Zeitpunkt, da ich das schreibe, noch unveröffentlichte – Urteil finden Sie hier:

Variante 2: Mietspiegel 2021 als Begründungsmittel ausreichend, im übrigen irrelevant, wenn die Miete nach dem Mietspiegel 2019 schon verlangt werden könnte

Einen etwas anderen Weg gehen die Richter der Zivilkammer 67. Dieses Urteil ist mittlerweile veröffentlicht, daher stelle ich es hier nicht erneut ein.

Zunächst stellt das Gericht fest, daß ein Mieterhöhungsverlangen unter Bezugnahme auf den Mietspiegel 2021 formal hinreichend begründet ist. Die gesetzliche Begründungspflicht verfolge allein den Zweck, dem Mieter erste Hinweise auf die sachliche Berechtigung des Mieterhöhungsverlangens zu geben. Diesen Mindestanforderungen zur Vermittlung eines ersten Anhalts genüge der Berliner Mietspiegel 2021 auf jeden Fall, selbst wenn er den Mietspiegel 2019 nur linear fortschreiben und damit womöglich von einem kürzeren als dem in § 558 Abs. 2 BGB n.F. ausgewiesenen Bezugszeitraum ausgehen sollte.

Ob der als formales Begründungsmittel taugliche Berliner Mietspiegel 2021 ebenfalls geeignet sei, dem Gericht jedenfalls im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO die Ermittlung der zwischen den Parteien streitigen ortsüblichen Vergleichsmiete zu erlauben, wollten die Richter nicht abschließend entscheiden und erklärten es für unerheblich. Denn sie könnten die Vergleichsmiete jedenfalls gemäß § 287 ZPO unter Zugrundelegung des für eine richterliche Schätzung geeigneten Berliner Mietspiegels 2019 bestimmen. Denn die vom Vermieter hier verlangte Miete sei schon nach dem Mietspiegel 2019 gerechtfertigt gewesen. Die ortsübliche Miete hätte anschließend um über 5% sinken müssen, um prozeßrelevant zu sein. Das sei mit dem für eine Schätzung nach § 287 ZPO ausreichenden Überzeugungsgrad unwahrscheinlich.

3. Inkonsistenz der landgerichtlichen Rechtsprechung

Zum Mietspiegel 2015 gab es bereits früher einmal eine Diskussion um seine Brauchbarkeit zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmieten. Die Zivilkammer 63 des Landgerichts Berlin entschied zum Az. 63 S 230/16 wie folgt (zieiter nach juris Rn. 8 und 9):

„Insbesondere ist nach Auffassung der Kammer nicht der Mietspiegel 2015 nach § 287 ZPO als einfacher Mietspiegel als Schätzgrundlage heranzuziehen. Im Rahmen der Schätzung nach § 287 ZPO bedarf es dabei einer geeigneten Schätzgrundlage. § 287 ZPO gibt die Art der Schätzgrundlage nicht vor. Die Schätzung darf aber weder auf der Grundlage falscher oder offenbar unsachlicher Erwägungen erfolgen, noch dürfen wesentliche, die Entscheidung bedingende Tatsachen außer Acht bleiben. Auch darf das Gericht in für die Streitentscheidung zentralen Fragen auf nach Sachlage unerlässliche fachliche Erkenntnisse nicht verzichten. In geeigneten Fällen können Listen oder Tabellen bei der Schadensschätzung Verwendung finden. Der Tatrichter ist aber lediglich bei der Verwendung geeigneter Listen grundsätzlich frei. Wenn das Gericht berechtigte Zweifel an der Eignung einer Liste hat, kann sein Ermessen hinsichtlich deren Verwendung beschränkt sein und es muss gegebenenfalls die Heranziehung einer bestimmten Liste ablehnen. Deshalb ist der Tatrichter gehalten, mögliche Listen oder sonstige Schätzgrundlagen einer Plausibilitätskontrolle zu unterziehen (BGH, Urteil vom 24. Oktober 2017 – VI ZR 61/17 –, Rn. 28 – 29, juris). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des BGH (Urteil vom 13. Februar 2019 – VIII ZR 245/17 –). Dort führt der BGH aus, es hänge von den Umständen des Einzelfalls ab, ob der Mietspiegel für die Beurteilung der ortsüblichen Vergleichsmiete einer konkret zu beurteilenden Wohnung ausreicht. Maßgebend für die Reichweite der Indizwirkung sind dabei insbesondere die Qualität des (einfachen) Mietspiegels und die Einwendungen der Parteien gegen den Erkenntniswert der darin enthaltenen Angaben (BGH, Urteil vom 13. Februar 2019 – VIII ZR 245/17 –, Rn. 17, juris). Einwendungen der Parteien wie im hiesigen Rechtsstreit seien dort nicht vorgebracht worden (BGH aaO Rn. 18).

Gemessen an diesen Grundsätzen erachtet die Kammer den Mietspiegel 2015, dessen mathematisch zutreffende Erstellung nach dem Ergebnis des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. … nicht anerkannten wissenschaftlichen Regeln entspricht als nicht geeignete Schätzgrundlage. Auch der einfache Mietspiegel muss zumindest anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen bei seiner Erstellung folgen. Fehlt es bereits daran, bzw., sind die der Erstellung zugrundeliegenden Daten nicht nach anerkannten festgestellten Grundsätzen ausgewertet, fehlt es nach Auffassung der Kammer nicht nur an der Repräsentativität der Schätzgrundlage, sondern auch an dessen Geeignetheit i.S.d. § 287 ZPO (vgl. auch Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vom 19. Dezember 2018 – 122/16 – Rn. 8).“

Anders als die ZK 65 in obiger Variante 1 ist also die ZK 63 der Ansicht, daß auch ein einfacher Mietspiegel Mindestkriterien an seine Erstellung folgen muß. Ist das nicht der Fall, bildet er nicht die Realität ab, sondern allenfalls eine Vermutung dieser. Im Lichte verfassungsrechtlicher Überlegungen – und zwar namentlich landesverfassungsrechtlicher – kann man über diese Hürde nicht so einfach hinweggehen. Die vom vorzitierten LG-Urteil in Bezug genommene Entscheidung des VerfGH Berlin vom 19.12.2018 (122/16) zieht eine grundsätzliche Linie in der Freiheit gerichtlichen Ermessens, die nicht unterschritten werden darf (nach juris, Leitsatz zu 1b):

„Mit Blick auf diese verfassungsrechtlichen Anforderungen begegnet ein fachgerichtlicher Begründungsansatz Bedenken, der es zulassen würde, auch Mietspiegel mit realitätsfernen Werten zur Grundlage von Entscheidungen über Mietstreitigkeiten zu machen, ohne dem Vermieter eine Möglichkeit zu belassen, die tatsächliche ortsübliche Vergleichsmiete nachzuweisen. Eine solche Verfahrensweise würde die Möglichkeit der gerichtlichen Durchsetzung der gesetzlich zulässigen Miete unzumutbar erschweren und verstieße gegen die Verfassung.“

Vor diesem Hintergrund finde ich es schade, daß die ZK 65 in der Entscheidung zu Variante 1 nicht die Revision zugelassen hat. Das hätte dem BGH die Gelegenheit gegeben, der Praxis beim Finden einer einheitlichen Handhabung zu helfen.

4. Anmerkung

Ein einfacher Mietspiegel trägt keine gesetzliche Vermutung in sich, daß er richtig ist. Er kann also widerlegt werden, zum Beispiel durch Sachverständigengutachten.