Gastbeitrag: Vorläufige Bewertung des COVID-19-Insolvenz-Aussetzungsgesetz (COVInsAG). Von Philip Karrenstein

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In kürzester Zeit haben Bundestag und Bundesrat das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht beschlossen. Das Gesetz wurde am 27. März 2020 verkündet.

Wesentlicher Regelungsgehalt des COVInsAG ist dabei die

  • Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
  • Keine Ersatzpflicht für bestimmte Zahlungen, die von Organen juristischer Personen (z.B. Geschäftsführer, Vorstand) nach Eintritt der Insolvenzreife geleistet werden
  • Gewährung und Rückzahlung bestimmter Darlehen gelten als nicht gläubigerbenachteiligend
  • Weitgehender Ausschluss der Insolvenzanfechtung

Die Insolvenzantragspflicht wird gemäß § 1 COVInsAG ausgesetzt. Dies gilt nur dann nicht,

  • wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2 Virus beruht oder
  • wenn keine Aussicht darauf besteht, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.

Dabei wird gesetzlich vermutet, dass

  • die Insolvenzreife auf den vorgenannten Auswirkungen beruht und
  • Aussichten bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen,

wenn die Zahlungsunfähigkeit nicht bereits am 31.12.2019 bestand. Ein entsprechender Ausschluss gilt nicht bei bereits am 31.12.2019 bestehender Überschuldung.

Die Insolvenzantragspflicht ist somit weitestgehend ausgesetzt. Erforderlich ist nur, dass die Insolvenzreife in einem Bezug zur Corono-Pandemie steht. Im Falle der Überschuldung besteht faktisch auch dann keine Insolvenzantragspflicht, wenn diese schon vor dem 01.01.2020 bestand.

I. Gesunde Unternehmen werden tiefer in die Krise gerissen

Die Überschuldung begründet während der Geltungsdauer des Gesetzes praktisch keine Insolvenzantragspflicht mehr.

Überschuldung liegt nach § 19 Abs. 2 InsO vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.

Im Regelfall möchte die Insolvenzordnung damit verhindern, dass sich ein bereits manifestes Risiko zu Lasten der Gläubiger weiter vertieft. Eine Gesellschaft, deren Überschuldungsgrad sich stets vertieft, richtet mit jedem Geschäftsvorfall einen größeren Schaden für ihre Gläubiger an.

In Folge der neuen gesetzlichen Regelungen droht den organschaftlichen Vertretern überschuldeter Gesellschaften auch dann keine (weitere Sanktion), wenn sie trotz einer bereits seit Jahren isoliert bestehenden Überschuldung auch unter den nun weiter verschlechterten Bedingungen keinen Insolvenzantrag stellen und weiter am Marktgeschehen teilnehmen.

Dies gilt selbst dann, wenn zu der bereits bestehenden Überschuldung nach dem 31.12.2019 noch Zahlungsunfähigkeit hinzukommt. Denn in diesem Fall gilt die gesetzliche Vermutung, dass die nunmehr hinzugekommene Zahlungsunfähigkeit auf den Folgen der Pandemie beruht und beseitigt werden kann.

In der Folge werden Unternehmen, deren Vermögen die Verbindlichkeiten schon vor der Krise nicht deckte und die nun auch nicht mehr dazu in der Lage sind ihre Verbindlichkeiten bei Fälligkeit zu bedienen (Zahlungsunfähigkeit), weiter am Markt teilnehmen und Verluste erwirtschaften können. Das Gesetz gestattet somit ausdrücklich, dass diese überschuldeten „Zombies“ weiterhin gläubigerschädigende Handlungen vornehmen. Gläubiger aber ist potentiell jeder, der mit diesen Gesellschaften am Wirtschaftsverkehr interagiert.

Die gesetzlichen Vermutungsregeln werden nur mit größtem Aufwand von Spezialisten und auch dann nur durch eine tiefgehende Analyse der in der Krise erfolgten Kommunikation sowie der elektronischen Buchhaltung zu widerlegen sein.

Da nun bereits vor der Krise kranke und insolvenzantragspflichtige Marktteilnehmer weiter am Marktgeschehen teilnehmen können, werden diese – wie das Coronavirus – weitere Marktteilnehmer, die ggf. nur leicht angeschlagen sind, infizieren. Denn unabhängig von der Dauer der Geltung dieser Vorschriften, die die Realität negieren, wird diesen Marktteilnehmern früher oder später das Geld ausgehen, da die Bugwelle überfälliger Verbindlichkeiten zu groß wird. Dadurch werden zahlreiche weitere Marktteilnehmer, die nun Ausfälle erleiden, in eine vergleichbare Lage versetzt werden. Gleichzeitig konkurrieren diese überschuldeten Unternehmen mit grundsätzlich gesunden Unternehmen um Fördermittel, verteuern diese auf Grund des höheren Risikos für die Banken.

Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für überschuldete und erst nach dem 31.12.2019 zahlungsunfähige Unternehmen wird die Krise weiter verschärfen und zahlreiche Unternehmen mitreißen.

Richtig dürfte die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nur in den Fällen sein, in denen Zahlungsunfähigkeit vorübergehend auf Grund der Corona-Pandemie eingetreten ist. Schädlich ist die Aussetzung für die Wirtschaft, wenn solche Unternehmen künstlich beatmet werden, die bereits vor der Krise auf Grund einer persistierenden Überschuldung insolvenzantragspflichtig waren.

Die Bestimmung in § 1 des COVInsAG reicht daher viel zu weit. Es wurde die Chance einer echten Marktbereinigung verpasst. Gravierend können sich die Folgen dieses Versäumnisses auf gesunde Unternehmen auswirken.

II. Weitere Verschärfung durch Ausschluss der Ersatzpflicht

Hätte es der Gesetzgeber bei der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und damit beim Ausschluss der Strafbarkeit (§ 15a Abs. 4 InsO) für Organe insolvenzantragspflichtiger juristischer Personen belassen, wären die Folgen ggf. noch überschaubar geblieben. Denn mehr noch als die Strafbarkeit fürchten Organe die sie treffende Ersatzpflicht für verbotswidrige Zahlungen. Exemplarisch kann hier § 64 Satz 1 GmbHG genannt werden. Danach ist der Geschäftsführer einer GmbH für sämtliche nach Eintritt der Insolvenzreife veranlassten Zahlungen ersatzpflichtig. Der Begriff der Zahlungen ist dabei sehr weit auszulegen; er betrifft quasi jede Handlung, die zu einem Vermögensabfluss führen kann; so etwa auch Einzahlungen in ein debitorisch geführtes Konto, da hier eine Verbindlichkeit gegenüber der Bank befriedigt wird, wodurch die verteilungsfähige Masse zugleich geschmälert wird (werthaltige Forderung erlischt bei Einzahlung auf das im Soll geführte Konto).

Nach dem gesetzlichen Grundmodell ist das Organ darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass Zahlungen, die nach Insolvenzreife geleistet wurden, mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar waren. Nunmehr gilt gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG eine (weitere) gesetzliche Vermutung, die nur schwer zu widerlegen sein dürfte. Denn Zahlungen während der Geltungsdauer des Gesetzes sollen in weitem Umfang mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sein.

Mit anderen Worten: Die Ersatzpflicht entfällt und der hemmungslosen Gesellschafts- (und somit Gläubiger-) Schädigung sind Tür und Tor weit geöffnet.

Richtig und sinnvoll sind indes die weiteren Regelungen unter § 2 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 COVInsAG, die insbesondere bezwecken, dass eine Kreditgewährung nicht allein deshalb nicht erfolgt, weil eine Anfechtbarkeit von Rückzahlungen auf in der Krise gewährte Darlehensmitteln befürchtet werden müsste. Die Darlehensgeber sollen insoweit für die Bereitschaft der Mittelgewährung zur Überwindung der Krise belohnt werden. Das ist ein sinnvolles und den Erhalt erhaltenswerter Unternehmen förderndes Instrument. Dieses Instrument wäre aber wertvoller, wenn die Bestimmungen des § 1 COVInsAG nicht auch für bereits am 31.12.2019 überschuldete Unternehmen geltend würden (s.o.).

III. Weitgehender Ausschluss der Insolvenzanfechtung

Die Bestimmung mit den potentiell gravierendsten Folgen ist der weitestgehend vollständige Ausschluss der Insolvenzanfechtung für Rechtshandlungen, die im Zeitraum zwischen dem 01.01.2020 und dem 30.09.2020 erfolgten; § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG. Dieser Zeitraum kann sogar bis zum 31.03.2021 verlängert werden.

Hierzu sind zunächst ein paar allgemeine Ausführungen zur Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen voranzustellen. Die §§ 129 ff. InsO regeln, dass Rechtshandlungen, d.h. jedes von einem Willen getragene Handeln, das rechtliche Wirkungen auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann, in einem späteren Insolvenzverfahren angefochten werden können. Die wichtigsten Vorschriften der Insolvenzanfechtung sind:

  1. Anfechtbarkeit kongruenter und inkongruenter Deckungen im besonderen Anfechtungszeitraum der letzten drei Monate vor dem Insolvenzantrag und danach (§§ 130, 131 InsO). Hier sind einerseits Rechtshandlungen anfechtbar, wenn der Empfänger Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder dem Insolvenzantrag hatte oder wenn der Anfechtungsgegner eine inkongruente Deckung erlangt hat, also eine Befriedigung oder Besicherung auf die er zu der Zeit oder in der Art keinen Anspruch hatte. Beispielhaft für eine inkongruente Deckung ist etwa der Fall eines befreundeten Gläubigers, der – ohne dass seine Forderung fällig war – vollständige Befriedigung erlangt hat.
  2. Die Vorsatzanfechtung mit einem Anfechtungszeitraum von bis zu zehn Jahren vor dem Insolvenzantrag; § 133 Abs. 1 bis Abs. 4 InsO. Gemäß § 133 Abs. 1 InsO sind Rechtshandlungen des Schuldners anfechtbar, die dieser mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil (in der Regel der Empfänger einer Zahlung) Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners hatte. Es handelt sich um eine praktisch sehr bedeutende Vorschrift, die eine hohe präventive Wirkung entfaltet. Denn nur wenige Gläubiger gehen in der Regel das Risiko ein, Gelder zurückgewähren zu müssen, die sie für ordnungsgemäß erbrachte Leistungen erhalten haben. Wer dennoch in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit seines Geschäftspartners weiterhin Geschäfte betreibt und (z.B.) Geld annimmt, der muss mit der Insolvenzanfechtung durch den Insolvenzverwalter rechnen. Damit stellt der Rückgewähranspruch wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung zugleich ein wichtiges Instrument zur Massemehrung im Insolvenzverfahren dar. Ohne die Anfechtungsvorschriften kämen zahlreiche Insolvenzverfahren mangels Masse nicht zur Eröffnung und die benachteiligten Gläubiger hätten nur selten eine relevante Quotenzahlung zu erwarten.

Während der Geltungsdauer von § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG sind aber die bislang grundsätzlich der Anfechtung unterliegenden Rechtshandlungen nicht mehr anfechtbar. Dies gilt für kongruente Deckungen, einen wesentlichen Teil inkongruenter Deckungen und für vorsätzlich die weiteren Gläubiger benachteiligende Rechtshandlungen.

Institutionelle Gläubiger wie das Finanzamt oder die Sozialversicherungsträger können die Vollstreckung betreiben, ohne dass es dafür zuvor eines Urteils bedürfte. Diese Gläubiger können also entweder selbst oder etwa durch Beauftragung des Hauptzollamtes sofort nach Erlass einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung auf das Vermögen des Schuldners zugreifen. Sie haben dadurch in der Krise des Schuldners einen erheblichen Vorteil.

Nicht selten kommt es in der Unternehmenskrise dazu, dass der Schuldner seinerseits relevante Beiträge zum Erfolg dieser Vollstreckungshandlungen leistet. So werden beispielsweise Darlehen gezielt auf das von der Pfändung betroffene Bankkonto ausgezahlt oder Kreditmittel in Anspruch genommen, um die Pfändung zu bedienen und das Konto wieder für Verfügungen nutzbar zu machen.

Während private und gewerbliche Gläubiger des Schuldners in der Regel Monate oder Jahre benötigen, um einen Vollstreckungstitel zu erwirken, können Krankenkassen und Finanzverwaltung auf Grund des Ausschlusses der Insolvenzanfechtung nun nicht nur ungehindert auf das Vermögen des Schuldners zugreifen – sie müssen auch keine spätere Rückgewähr im Rahmen der Insolvenzanfechtung fürchten.

Wie schon einleitend erläutert, war es bislang möglich, Vermögensverschiebungen – von denen besonders bedeutende Gläubiger profitiert haben – im Wege der Insolvenzanfechtung rückgängig zu machen. Dies hatte zur Folge, dass der eher unwichtige Lieferant oder auch der oft mit Ausfällen konfrontierte Vermieter am Ende eines Insolvenzverfahrens nicht schlechter stand als die oktroyierten Gläubiger (Finanzamt, Krankenkassen, Berufsgenossenschaften).

Verschärfend zu den unter I. und II. genannten Folgen, die zahlreiche Gläubiger nun ins Messer insolventer Unternehmen laufen lassen, müssen nun gerade die gewerblichen Gläubiger damit rechnen, dass ihnen am Ende (zahlreicher Insolvenzverfahren) ein Totalausfall droht.

Der Fiskus hält sich hingegen auf Kosten der privaten mit den Bestimmungen in § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG weitgehend schadlos. Das ist ein Skandal, der in der Debatte um die ebenso gravierenden Unwuchten im Bereich des Mietrechts (Aussetzung der Kündigungsmöglichkeiten) bislang wenig Beachtung gefunden hat.

Gleichwohl wird der Markt reagieren und in vielen Bereichen auf Vorkasse umstellen. Denn auch wenn keine Insolvenzanfechtung droht, so besteht doch die Gefahr, dass eine Befriedigung der eigenen Forderungen auf Grund der sich vorrangig befriedigenden Gläubiger nicht mehr erlangt wird.

Diese zu erwartende Gegenreaktion des Marktes wird die ohnehin bestehenden Liquiditätsengpässe weiter verschlimmern. Leistungen werden kaum mehr kreditiert werden.

IV. Ausblick

Es erscheint derzeit schwer vorstellbar, dass der Bund das nunmehr statuierte „Fiskusprivileg“ wieder aufheben wird. Eine sinnvolle Marktbereinigung wird auf Kosten privater bzw. gewerblicher Marktteilnehmer verhindert. Zudem werden bereits vor der Krise überschuldete Unternehmen – von denen es viele gibt – zahlreiche ihrer bis zum Beginn der Krise gesunden Geschäftspartner mitreißen.

Der Bund hat es versäumt, die Krise für eine schmerzhafte, aber grundsätzlich sinnvolle Marktbereinigung zu nutzen, und hat sich vor allem selbst zu Lasten aller anderen Gläubiger einen Vorteil mit unabsehbaren Langzeitfolgen verschafft.

V. Bedeutung für Vermieter

Vermieter könnten das reduzierte Anfechtungsrisiko nun als Chance begreifen, denn auch Vermieter müssen hinsichtlich der vom COVInsAG erfassten Rechtshandlungen nun erstmal keine Inanspruchnahme durch den Insolvenzverwalter fürchten. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit.

Einerseits entfällt zwar die eher seltene Anfechtung von Mietzahlungen, andererseits dürfen Vermieter kaum mehr eine Quotenzahlung in einem späteren Insolvenzverfahren über das Vermögen des Mieters erwarten. Denn der Fiskus kann – wie aufgezeigt – die Konten des Mieters ungestraft leer räumen. Für Vermieter doppelt tragisch: die Kündigung wegen bestehender Rückstände ist befristet ausgeschlossen, so dass überdurchschnittlich hohe Rückstände auflaufen werden. Der Vermieter sollte daher im Wettbewerb um eine bestmögliche Befriedigung seiner Forderungen auflaufende Rückstände umgehend titulieren lassen; ggf. mit einer Klage auf künftige Leistung. So kann er schneller oder genau so schnell wie der Fiskus vollstrecken.

Philip Karrenstein
Rechtsanwalt / Dipl.-Kaufmann (FH)

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