Neuvermietung ohne Mietpreisbremse

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Mit ihrer (hier besprochenen) Einschätzung, daß in Berlin seit dem 13.05.2021 kein Mietspiegel mehr existiert, haben Richter Beuermann (GE Mietspiegel 2021 Seiten 21 und 22) und Prof. Sebastian (hier) zugleich erklärt, daß dann auch die Mietpreisbremse entfallen ist. Das würde bedeuten, daß Neuvermietungen nicht mehr an die ortsübliche Vergleichsmiete gebunden, sondern preisfrei sind.

In diesem Beitrag bespreche ich, auf welchen Argumenten diese Einschätzung fußt, was ich davon halte und was das in der mietrechtlichen Praxis konkret bedeutet.

Was regelt die Mietpreisbremse?

Kurz gesagt beschränkt sie die Höhe der Miete bei Neuvermietung. § 556d Abs. 1 BGB bestimmt, daß diese (von Ausnahmen abgesehen) maximal 10% über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf. Ursprünglich war diese Regelung auf 5 Jahre befristet, um den Mietern eine Atempause und der Politik Zeit zu verschaffen, genügend neuen Wohnraum zu bauen, um den Druck aus dem Markt zu nehmen. Nach 5 Jahren hat man das um weitere 5 Jahre verlängert, weil der Druck im Markt eher gewachsen statt gesunken ist, und in Detailfragen mehrfach verschärft. Nach aktuellem Stand würde die Berliner Mietenbegrenzungsverordnung bis Ende Mai 2025 gelten.

Eine Berechnung, was 10% über der ortsüblichen Vergleichsmiete sind, ist nur möglich, wenn man die ortsübliche Vergleichsmiete selbst berechnen kann. Das hat bis zum 12.05.2021 der Berliner Mietspiegel ermöglicht. Fehlt ein Mietspiegel, ist es ohne Sachverständigengutachten faktisch ausgeschlossen, festzustellen, was die oüVm für die jeweilige in Rede stehende Wohnung ist. Damit sind auch die 10% darüber nicht mehr berechenbar. Damit wird es Vermietern unmöglich, eine rechtskonforme Berechnung der zulässigen Miete bei Neuvermietung vorzunehmen.

Mietspiegel als zwingende Voraussetzung für die Mietpreisbremse?

Richter Beuermann und Prof. Sebastian verweisen auf diese Entscheidung des BVerfG (Az. 1 BvL 1/18, 1 BvL 4/18 und 1 BvR 1595/18). Darin wies das BVerfG Vorlagen und eine Verfassungsbeschwerde gegen die Mietpreisbremse zurück. In den Gründen führte es aus, warum und unter welchen Voraussetzungen eine solche Regulierung zulässig ist.

In Rn. 56 bis 58 ging das BVerfG konkret auf die Frage der Anknüpfung der Mietpreisbremse an die oüVm und deren Berechnung ein:

„§ 556d Abs. 1 BGB ist hinreichend bestimmt.

Bei der zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete erfolgten Bezugnahme auf § 558 Abs. 2 BGB handelt es sich nicht um eine möglicherweise dem Gebot der Rechtsklarheit widersprechende dynamische Verweisung. Dynamische Verweisungen sind zulässig, wenn der Gesetzgeber den Inhalt seiner Vorschriften trotz Verweisung selbst festlegt und nicht der Entscheidung Dritter unterwirft (…). Dagegen verstößt die Bezugnahme auf § 558 Abs. 2 BGB in § 556d Abs. 1 BGB nicht. Sie beeinträchtigt die inhaltliche Klarheit, Widerspruchsfreiheit und Verständlichkeit aber auch dann nicht, wenn die anhand der ortsüblichen Vergleichsmiete bemessene höchstzulässige Miete bei Mietbeginn ihrerseits die Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete beeinflusst.

Auch soweit rechtsstaatliche Grundsätze gebieten, mietpreisrechtliche Vorschriften nach Inhalt und Voraussetzungen so zu gestalten, dass Vermieter und Mieter in der Lage sind, in zumutbarer Weise die gesetzlich zulässige Miete zu ermitteln (…), ist das Abstellen auf die ortsübliche Vergleichsmiete nicht zu beanstanden. Zwar kann ihre Ermittlung die Vertragsparteien in Gemeinden, in denen kein qualifizierter Mietspiegel aufgestellt ist, vor praktische Schwierigkeiten stellen (vgl. BTDrucks 18/3121, S. 29; v…). Eine den Vorgaben der Verfassung entsprechende Anwendung der Regelungen über die ortsübliche Vergleichsmiete ist gleichwohl möglich (vgl. BVerfGE 37, 132 <143>).

Der Verweis auf die letztgenannte Entscheidung (BVerfGE 37, 132) führt in das Jahr 1974 und dort leider nur zu eher allgemein gehaltenen Erwägungen, die der praktischen Rechtsanwendung im Alltag nicht wirklich helfen. Der wesentliche Kern der dortigen Überlegungen lautete (Rn 33 bis 35):

Der Einwand der Beschwerdeführer, die Vorschrift verstoße wegen ihrer Unbestimmtheit gegen das Rechtsstaatsprinzip, ist nicht gerechtfertigt. Allerdings müssen inhaltsbestimmende Vorschriften im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG auch den Anforderungen entsprechen, die der Rechtsstaat an die Ausgestaltung von Rechtsnormen stellt (…). Daß ein Gesetz unbestimmte, der Auslegung und Konkretisierung bedürftige Gesetzesbegriffe verwendet, verstößt aber allein noch nicht gegen die rechtsstaatlichen Grundsätze der Normklarheit und Justitiabilität (…). Die grundsätzliche Zulässigkeit solcher Gesetzesbegriffe entbindet den Gesetzgeber nicht davon, die gesetzliche Vorschrift in ihrem Inhalt und ihren Voraussetzungen so zu formulieren, daß die von ihr Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Die Rechtsunterworfenen müssen auch in zumutbarer Weise feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen. Konkret bedeutet dies: Vermieter und Mieter müssen in der Lage sein, die gesetzlich zulässige Miete zu errechnen, und die Gerichte müssen nachprüfen können, ob die verlangte Mieterhöhung ganz oder teilweise gerechtfertigt ist. (…)

Es ist nicht zu verkennen, daß die Anwendung des Begriffs der ortsüblichen Vergleichsmiete … nicht geringe Schwierigkeiten bereitet. Die Feststellung der „ortsüblichen Entgelte“ erfordert die Ermittlung der tatsächlich und üblicherweise gezahlten Mieten für vergleichbare Wohnungen. Solche Feststellungen sind – abgesehen von der Vielgestaltigkeit der Verhältnisse – schon deshalb problematisch, weil es für die Beteiligten nicht immer möglich ist, „vergleichbare“ Wohnungen zu finden, und gemeindliche Mietwerttabellen oder Mietwertspiegel meist nicht vorhanden sind.

Gleichwohl kann die Regelung hingenommen werden, da eine dem materiellen Inhalt der Norm gemäße Anwendung bei einer sachgerechten und an den dargelegten verfassungsrechtlichen Grundsätzen orientierten Handhabung nicht ausgeschlossen ist.

Wir halten also fest: einerseits muß es den Vermietern und Mietern möglich sein, die gesetzlich zulässige Miete zu errechnen. Andererseits geht das nach Ansicht des BVerfG (des Jahres 1974) auch ohne Mietspiegel.

An letzterem habe ich meine Zweifel. Diese rühren daher, daß ich in den letzten Wochen mehrfach von Mandanten gefragt wurde, ob ich für eine Wohnung ausrechnen könne, zu welcher Miete sie sie jetzt vermieten dürfen, und ich ihnen keine Antwort geben konnte. Wenn ich als Fachjurist dazu nicht in der Lage bin, wie soll das dann ein Hausverwalter oder privater Eigentümer tun?

Immerhin, verfassungsrechtlich ist die Frage nicht eindeutig beantwortet. Die Vorgabe, daß ein Vermieter in der Lage sein muß, die zulässige Miete zu berechnen, und die Ansicht, daß das auch ohne Mietspiegel geht, stehen in Widerspruch zueinander. Diesen Widerspruch wird das BVerfG noch auflösen müssen.

Einschätzung des Gesetzgebers

Als 2015 die Regeln zur Mietpreisbremse eingeführt wurden, hat sich der Deutsche Bundestag darüber Gedanken gemacht, wie aufwendig es ist, die oüVm bei Neuvermietung zu ermitteln. Auf Seite 24 der BT-Drucksache 18/3121 schätzte er den Zeiteinsatz folgendermaßen:

Weiterer Erfüllungsaufwand wird für Vermieter dadurch entstehen, dass bei einer Vermietung zu prüfen ist, bis zu welcher Höhe eine Miete nach den §§ 556d ff. BGB-E verlangt werden kann. Der Zeitaufwand für einen Einzelfall ist großzügig auf maximal zwei Stunden zu schätzen. Er entsteht durch Befassung mit den Bewertungskriterien, beispielsweise auf Grundlage eines Mietspiegels, auf der Sammlung entsprechender Informationen über die Wohnung und deren aktuelle Einordnung in das zulässige Preisgefüge. Hierbei ist allerdings nur der Mehraufwand zu berücksichtigen, der durch die neue Art der Feststellung entsteht, denn auch ohne Regulierung der zulässigen Wiedervermietungsmiete muss der Vermieter Aufwand in die Preisbildung investieren. Der geschätzte Wert ist ein Mittelwert. In vielen Fällen war der Vermieter mit der Einordnung der Wohnung in den Mietspiegel schon befasst, etwa im Rahmen von Mieterhöhungen nach den §§ 558 ff. BGB im vorangegangen Mietverhältnis. Nicht selten sind auch gleichartige Wohnungen in demselben Gebäude oder im sonstigen Bestand des Vermieters vorhanden. In diesen Fällen ist der Zeitaufwand geringer. Bei erstmaliger Befassung kann er auch länger sein. Der Zeitwert pro Stunde wird auf 24,90 Euro veranschlagt (Lohnkostentabelle nach Klassifikation der Wirtschaftszweige, mittleres Qualifikationsniveau für das Grundstücks- und Wohnungswesen). Weitere 3 Euro sind für Verwaltungskosten anzusetzen (Kopien, Porto, Telefon). So ergibt sich ein Wert von 52,80 Euro pro Vermietungsfall.

Auf Seite 28 der Gesetzesbegründung geht es mit folgenden Worten um die Anknüpfung an die oüVm:

„Zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete kann häufig ein Mietspiegel herangezogen werden.“

Die gesetzgeberischen Einschätzungen sind ohne Mietspiegel nicht haltbar. Eine Anknüpfung an Vergleichswohnungen im Haus mag für die formelle Begründung einer Mieterhöhung nach § 558a BGB ausreichen; im gerichtlichen Verfahren würde dennoch mit Sachverständigengutachten geprüft, ob die Vergleichswohnungen tatsächlich die oüVm wiedergeben oder nicht. Bei Neuvermietungen ist es nicht anders. Im Ergebnis bleibt es dabei, daß die oüVm bei fehlendem Mietspiegel ohne Sachverständigen nicht ermittelbar ist.

Nun könnte man es verfassungsrechtlich vielleicht noch für zulässig halten, dem Vermieter diese Kosten abzuverlangen, wenn es denn auf diese Weise jedenfalls ginge. Wie ich gestern ausgeführt habe, gibt es in Berlin jedoch aktuell kaum Mietgutachter, und die vorhandenen nehmen aus Kapazitätsgründen keine Aufträge an. Damit ist es einem Vermieter selbst bei gutem Willen und unbegrenztem finanziellen Mitteleinsatz aktuell nicht möglich, die zulässige Miete bei Mietbeginn zu berechnen.

Einschätzung des Berliner Senats

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen scheint sich der Auffassung von Richter Beuermann und Prof. Sebastian anzuschließen. Auf ihrer Webseite erklärt sie, daß die Berliner MietenbegrenzungsVO nach Urteil des BVerfG nichtig ist:

Zwischenergebnis: vermutlich keine Mietpreisbremse mehr in Berlin

Mit Blick auf die widersprüchlichen Vorgaben des BVerfG muß man die Frage im Ergebnis noch offen lassen. Prof. Sebastian formuliert entsprechend vorsichtig:

„… wahrscheinlich sind die Berliner Mieter diese Woche auch nicht mehr durch die Mietspreisbremse geschützt. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2019 und der einschlägigen Kommentarliteratur ist Voraussetzung, dass Mieter und Vermieter in zumutbarer Weise die gesetzlich zulässige Miete ermitteln können. Gibt es keinen Mietspiegel, so ist es zweifelhaft, ob die Mietpreisbremse verfassungsgemäß ist. Ohne gültigen Mietspiegel läuft die Mietpreisbremse bereits de facto ins Leere. Dazu ist auch noch fraglich, ob die Regelung ohne Mietspiegel überhaupt verfassungsgemäß ist.“

Das gilt freilich nur für Neuverträge bzw. eintretende Staffeln nach dem 12.05.2021. Die bis zum 12.05.2021 abgeschlossenen Mietverträge bzw. eingetretenen Mietstaffeln können weiterhin anhand der bis dahin geltenden Mietspiegel beurteilt werden.

Handhabung in der Praxis

De facto liegt die Beweislast dafür, daß die Miete unzulässig hoch ist, beim Mieter: er muß die Überhöhung rügen und vor Gericht nachweisen, daß die vereinbarte Miete mehr als 10% über der oüVm liegt. Dabei geht es ebenfalls zu seinen Lasten, wenn keine Preisbindung besteht, weil mangels Mietspiegel von einer verfassungsrechtlichen Unzulässigkeit ausgegangen werden muß.

Diesen Nachweis wird der Mieter nicht mehr mit Verweis auf einen Mietspiegel führen können, sondern er muß ihn nun seinerseits per Sachverständigengutachten antreten. Das wiederum dürfte das Geschäftsmodell der Conny GmbH beeinflussen: es ist nun nicht mehr kostenlos, Mietrügeprozesse zu führen, sondern spätestens im Prozeß mit erheblichen und langfristigen Vorleistungen für Gutachten verbunden. Ob das auf Basis eines 100%igen Erfolgshonorars noch lukrativ ist, wird man dort sicherlich sorgfältig beurteilen.

Für den Vermieter besteht demgegenüber das Risiko einer Rückzahlung etwaiger Überhöhungen, wenn der Mieter innerhalb der ersten 30 Monate nach Vertragsabschluß rügt und die Rüge inhaltlich begründet ist, § 556g Abs. 2 BGB. Rügt der Mieter erst danach, hat das allenfalls Auswirkungen auf künftige Monate, die Vergangenheit wird nicht rückabgewickelt.

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