Keine Angst vor „Berufsanfängern“ – Wandel der Zulassungsvoraussetzungen zum Notariat im Zeitablauf

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Notare gibt es, seit die Menschheit schreiben kann – der Kollege Diehn in Hamburg greift sogar zurück bis auf die Urkundsschreiber im alten Ägypten und die Schnellschreiber im römischen Reich (hier). Die heutige Bundesnotarordnung gibt es seit 1961, sie löste die in Zeiten des Nationalsozialismus erlassene Reichsnotarordnung von 1937 ab (BGBl Nr. 10 vom 27.02.1961).

Die Voraussetzungen, als Notar bestellt zu werden, waren damals aus heutiger Sicht milde. Man mußte

  • Volljurist sein (§ 5),
  • nach Persönlichkeit und Leistungen geeignet sein (§ 6) und
  • einige Jahre als Rechtsanwalt gearbeitet (Bundesländer mit Anwaltsnotariat, § 3 Abs. 2) oder einen dreijährigen Anwärterdienst als Notarassessor absolviert haben (Bundesländer mit Nur-Notariat, § 7).

Die Bestellung geschah durch schlichte Aushändigung einer Bestellungsurkunde (§ 12).

Ältere Kollegen haben mir erzählt, wie es bei Ihnen war. Sie wurden eines Tages von der Kammer angerufen und gefragt, ob sie Notar werden wollten. Sie bejahten und bekamen eine Bestellungsurkunde übersandt. Fortan waren sie Notar. Das galt, so lange sie wollten, denn eine Altersgrenze gab es nicht.

Die fehlende Altersgrenze stellte sich 30 Jahre später als Problem heraus, sowohl was die Qualität der notariellen Leistungen als auch was die Zahl der möglichen Stellenbesetzungen anging. Zur Abhilfe wurde im Jahr 1991 eine Altersgrenze von 70 Jahren eingeführt (§ 48a BNotO). Zugleich wurden Auswahlmaßstäbe bei mehreren Bewerbern um das Notaramt und für das Auswahlverfahren entwickelt. Angesichts der stark zunehmenden Zahl der Rechtsanwälte wurde der bis 1991 mögliche Zugang zum Anwaltsnotariat allein über Wartezeiten im Anwaltsberuf beseitigt (Gesetzesbegründung BT-Drucks. 11/6007). Die Kriterien zur Bestellung als Anwaltsnotar lauteten nunmehr (BGBl I 1991, 150 vom 29.01.1991):

  • Volljurist (wie bisher)
  • mindestens 5 Jahre zur Rechtsanwaltschaft zugelassen (§ 6 Abs. 2 Nr. 1)
  • seit mindestens 3 Jahren in dem in Aussicht genommenen Amtssitz hauptberuflich als Anwalt tätig (§ 6 Abs. 2 Nr. 2)
  • persönlich und fachlich geeignet, wobei die Bewerber mit den besseren Examensnoten vorrangig bestellt wurden; die Bewertung konnte durch Teilnahme an Vorbereitungskursen und Mitwirkung an notariellen Tätigkeiten verbessert werden (§ 6 Abs. 3).

Diese Regelung stellte schon mehr auf die fachliche Qualifikation der Kandidaten ab als die vorherige, war jedoch zu ungenau und wurde vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt (1 BvR 838/01). Zur Begründung führte das Gericht aus, daß die regelmäßige Anwendung dieser Vorgaben, konkretisiert in den im Wesentlichen übereinstimmenden Verwaltungsvorschriften der Länder, ebenso wie Auslegung und Anwendung der Norm durch die Gerichte die gebotene chancengleiche Bestenauslese zur Besetzung der freien Notarstellen verfehlen. Deshalb sei eine Neuregelung notwendig.

Mit einem Gesetzentwurf im Bundesrat im Dezember 2006 (BR-Drucks. 895/06), eingebracht in den Bundestag im April 2007 (BT-Drucks. 16/4972), nahm man sich dieser Kritik an und führte eine notarielle Fachprüfung ein, die unter Juristen heute als drittes Staatsexamen bezeichnet wird. In Kraft traten die Neuregelungen im Mai 2011. Seit dem setzt die Bestellung zum Notar zusätzlich zu den obigen Kriterien

  • das Bestehen einer notariellen Fachprüfung (siehe hier) und
  • anschließende mindestens 160h Praxis in einem Notariat (§ 5b Abs. 4)

voraus. In diesem Kontext wurden Regelungen zur Prüfungsordnung, zur Gewichtung der schriftlichen Prüfungsklausuren und der mündlichen Prüfung und eine Verordnungsermächtigung an die Länder für Einzelheiten der Durchführung erlassen, die sich heute in den §§ 6 bis 7i BNotO finden.

Ich habe die schriftlichen Prüfungen Ende 2018 und die mündliche Prüfung Anfang 2019 absolviert und kann berichten, daß sie wirklich schwer waren. Ein erheblicher Teil der Volljuristen mit zwei Staatsexamina und Berufserfahrung, die antraten, fiel durch. Die vom Gesetz gewollte Auslese wird hier ernsthaft durchgesetzt. Der Ruf der Fachprüfungen eilt ihnen unter Kollegen auch voraus: so mancher schreibt lieber eine Dissertation und erwirbt einen Doktortitel, als sich als gestandener Jurist mit Berufserfahrung noch einmal einer solchen Prozedur zu unterziehen und dann womöglich zu gewärtigen, daß es doch nicht gereicht hat.

Im Nachhinein und mit meiner Erfahrung in der notariellen Praxis muß ich allerdings sagen, daß mir der zurückgelegte harte Weg heute hilft. Die Vorbereitung auf die Prüfungen nahm mich das ganze Jahr 2018 über massiv in Anspruch; das war nur möglich, weil mich ein angestellter Anwalt damals von großen Teilen der Kanzleiarbeit und Terminen entlastete und meine Familie erklärte, sämtliche Erwartungen an mich und meine Zeit temporär auszusetzen. Jeden Abend und jedes Wochenende lernen mit Kursakten, Kommentaren, Lehrbüchern, Kursen in Berlin und Hannover, der DNotZ und dem DNotI-Report und intensive Arbeit am Gesetz zur Vorbereitung auf die Prüfungen, haben zu einer breiten Wissensbasis geführt, die mir hilft, als Notar gute inhaltliche Arbeit zu leisten. Auch die (weit mehr als 160h) Praxis, die ich im Notariat des Kollegen Harald Nieber absolvieren durfte, waren sicherlich sinnvoll. Ich finde es schwer vorstellbar, wie die älteren Kollegen, die keine derart fokussierte Ausbildung durchlaufen haben, die Anfangsjahre ihrer Tätigkeit unfallfrei überstehen konnten.

Nach alledem kann ich sagen: Vorbehalte gegenüber Notarkollegen, die noch nicht lange im Amt sind, sind unbegründet. Womöglich sind sie fachlich sogar besser ausgebildet als so manch älterer Kollege, der keine Prüfungen durchlaufen mußte, das aber natürlich heute mit seiner Berufserfahrung ausgleichen kann.