20 Jahre Mietrecht

Veröffentlicht von

Im Sommer 2002 wurde ich als Anwalt zugelassen, d.h. dieses Jahr werden es 20 Jahre. Während dieser Zeit gab es einiges an Rechtsentwicklung, sowohl betreffend die Gesetze als auch die Rechtsprechung. Noch während meines Referendariats, im September 2001, fand eine große Mietrechtsreform statt, in der unter anderem die alten Vorschriften des MHG in das BGB überführt und die Paragraphen im Mietrecht neu durchnummeriert wurden. Auch die alten Hasen mußten das Mietrecht da plötzlich neu lernen. Nur 3 Monate später, zu Januar 2002, wurde außerdem das allgemeine Schuldrecht des BGB komplett neu geregelt. Es gab neue Verjährungsfristen und neue formale und inhaltliche Voraussetzungen und natürlich auch hier eine „Umparagraphierung“. Die Änderungen waren so umfangreich, daß so mancher gestandene Jurist noch diverse Jahre später nicht sattelfest in den neuen Regeln war.

Weitere Mietrechtsänderungen folgten. Im Mai 2013 wurde das Recht der Modernisierung vollständig neu gefasst und die Möglichkeit eingeführt, die Kappungsgrenze bei Mieterhöhungen in angespannten Märkten von 20% auf 15% zu senken. Bei energetischen Modernisierungen sollte der Mieter 3 Monate lang nicht mindern können, um Sanierungen zu erleichtern. In den Jahren danach fanden in immer kürzeren Abständen Eingriffe statt, die darauf abzielten, Mieten zu begrenzen. Lokale Gesetzgebungen in Berlin kamen hinzu, so etwa 2012 die Zweckentfremdungsverbote gegen Ausweichbewegungen von Vermietern (Ferienvermietung), Milieuschutzgebiete gegen Modernisierungen und Wohnungsumwandlungen, 2015 die Mietpreisbremse und 2017 ff. diverse „Nachschärfungen“.

Als ich studierte, wurde gelehrt, daß Zivilrecht vom Grundsatz der Vertragsfreiheit geprägt ist. Jeder darf selbst entscheiden, ob und zu welchen Bedingungen mit wem er einen Vertrag schließt. Im Mietrecht ist davon heute nicht viel übrig. Nicht einmal die Vermietungsentscheidung als solche darf der Eigentümer noch treffen, Leerstand ist Zweckentfremdung. Die Entscheidung, wer in der Wohnung lebt, ist dem Eigentümer auch entzogen: die Voraussetzungen, unter denen der Mieter einen Anspruch auf Erteilung einer Untermieterlaubnis hat, sind so gering, daß der Mieter sie immer erfüllen kann, und wenn nicht, hat der Eigentümer nach der Rechtsprechung kaum eine Möglichkeit, das zu sanktionieren. So manch ein Mieter macht mit der Mietwohnung gute Geschäfte, die Beweislast liegt derweil beim Vermieter, der darin keine Einblicke hat. Die Konditionen der Vermietung sind ebenfalls vorgegeben: die Miethöhe wird von der Mietpreisbremse reguliert, die Vertragslaufzeit ist zwingend unbefristet, die erlaubte Kautionshöhe angesichts der gesetzlichen Kündigungsvoraussetzungen bei Rückstand und der Verfahrensdauern für Räumungsklagen völlig unzureichend. Es spielt keine Rolle, wie viel Kapital der Eigentümer aufbringen mußte, um die Immobilie zu kaufen oder zu bauen, Mietrecht geht seiner Kalkulation vor. In engen Grenzen gibt es Ausnahmen, welche permanenter Bewährung vor den Gerichten ausgesetzt sind und nicht immer halten, was man von ihnen eigentlich erwartete.

Mittlerweile wächst eine neue Generation von Juristen heran, für die all das völlig normal ist. Ich kann nur anekdotische Evidenz beitragen, sehe hier aber eine Entwicklung. In den letzten Monaten habe ich diverse Male vor jungen Amtsrichtern und Amtsrichterinnen verhandelt, für die es völlig normal ist, daß es im Mietrecht keine Vertragsfreiheit gibt. Die Idee, daß eine Miete bei Neuvermietung frei vereinbart werden könnte, empfindet diese Generation als mieterfeindlich, die bestandsschützenden Regeln bei Einführung der Mietpreisbremse in 2015 als Umgehung oder Lücke im Mieterschutz. Die Interpretation des Gesetzes fällt dann so aus, daß diese Lücken geschlossen werden. Daß eine bestimmte Art und Weise der Rechtsprechung massiv Vertrauen erodiert, ziehen die jungen Kollegen gar nicht in Betracht, weil sie die alten Regeln, nach denen Immobilieneigentümer ursprünglich ihre Investitionen anlegten, gar nicht mehr kennen und der heutige Rechtszustand für sie der Normalfall ist.

Dabei ist er nicht der Normalfall. Die Reduktion der Kappungsgrenze von 20% auf 15% ist eine Ausnahmeregelung, die für den temporären Fall eines besonders angespannten Wohnungsmarktes gedacht war. Seit sie vor 9 Jahren eingeführt wurde, befinden wir uns im Ausnahmezustand, wann dieser endet ist nicht absehbar.

Die Mietpreisbremse wurde 2015 beschränkt auf 5 Jahre eingeführt. Sie sollte 2020 auslaufen, worauf sich viele Vermieter in ihrer Planung und ihren Investitionsentscheidungen verließen. Das BVerfG hat den massiven Eingriff in die Vertragsfreiheit nur deshalb noch gebilligt, weil er zeitlich begrenzt angelegt wurde. In 2020 hat die Politik das um 5 Jahre verlängert mit der Begründung, daß die Anspannung im Wohnungsmarkt noch nicht behoben war. Sie ist nach wie vor eine Ausnahmeregelung wegen eines temporären, besonderen Ausnahmezustands. Auch insoweit ist nicht absehbar, wann dieser endet. Daß die Mietpreisbremse nach Auslaufen dieser zweiten 5 Jahre endet, ist eher nicht zu erwarten, aus der Politik hören wir Forderungen nach einer Verstetigung. Wenn jemand das beendet, dann vermutlich die Gerichte, irgendwann, dachte ich. Wenn aber das Problembewußtsein der Richter im Laufe der Zeit verschwindet und gar kein Störgefühl betreffend die faktisch abgeschaffte Vertragsfreiheit mehr besteht, dann darf man darauf vielleicht nicht hoffen.

Das neue Umwandlungsverbot in § 250 BauGB ist zeitlich auf 5 Jahre begrenzt. Auch dieses adressiert einen besonderen Ausnahmezustand und soll den lokal Verantwortlichen Zeit geben, die Ausnahmesituation zu bewältigen, wegen derer der Gesetzgeber meint, daß es temporär ein Aufteilungsverbot brauche. Man darf annehmen, daß die Geltung zum Ablauf der 5 Jahre hin rechtzeitig verlängert wird, weil der Ausnahmezustand noch nicht behoben ist. Irgendwann wird es vielleicht als normal empfunden, daß Eigentümer ein Mehrfamilienhaus nicht aufteilen dürfen, obwohl es ihnen gehört und der Anspruch ist, daß ein Eigentümer mit seiner Sache tun und lassen darf, was er will – so die Legaldefinition in § 903 BGB: „Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.“ Wenn die Einschränkungen wie im Mietrecht so umfassend sind, daß sie das Regel-Ausnahme-Verhältnis in ihr Gegenteil verkehren, ist das Eigentum nur noch formal vorhanden, faktisch aber nicht mehr.

All diese Regulierungen führen dazu, daß es unwahrscheinlicher wird, daß die Voraussetzungen für ihren Wegfall eintreten. Eine Twitter-Userin hat es heute auf den Punkt gebracht:

Dem Gedanken muß man zustimmen: je strenger die Regulierungsschraube, desto weniger Private werden sich finden, die ihr Geld in den Berliner Wohnungsmarkt stecken. Ohne Eigentümer, die Miethäuser bauen, gibt es keine Miethäuser. Ohne Eigentümer, die Miethäuser freiwillig instandhalten und modernisieren, gibt es keinen Klimaschutz und keine Instandhaltung. Eine Regulierung der aktuell diskutierten Art, die Eigentümer dann eben mit Bauvorschriften oder einer nicht umlegbaren CO2-Steuer für Betriebskosten zwingt, führt nur dazu, daß die Investition in den Mietwohnungsmarkt noch weniger sinnvoll ist. Wer kann, verkauft. Bisherige Mietwohnungen werden zu selbstgenutztem Wohneigentum.

Einen Profiteur dieser Entwicklung sehe ich nicht. Die Mieter sind es jedenfalls nicht: vor 2015 war es leichter, in Berlin eine Wohnung zu finden. Machen Sie das mal heute: in den Eigenbedarfsprozessen hören wir regelmäßig, daß die Leute auch nach einem Jahr Suche noch nichts neues gefunden haben. Das mag an der Anspruchshaltung liegen oder Prozeßtaktik sein, vor 2015 gab es diesen Einwand jedenfalls nicht. Was hat sich 2015 geändert? Die Mietpreisbremse wurde eingeführt.

Die Eigentümer haben aber auch nichts davon. Sie werden in ihren Entscheidungen beschränkt und ihre Erträge bis zum Erliegen eingekürzt, obendrauf kommt seit einigen Jahren ein erheblicher bürokratischer Aufwand für Datenschutz, Steuern, Zensus, Heizkostenerfassung, Bauvorschriften und ein kaum mehr überschaubares Mietrecht, welches den normalen Eigentümer ohne Rechtsabteilung zwingt, für nahezu jeden Schritt eine Einschätzung durch einen Anwalt oder ein Gutachten einzuholen. Irrtümer sind mittlerweile hoch bußgeldbewehrt, siehe § 5 WiStraG. Außer für Großeigentümer oder berufliche Immobilienprofis macht Vermietung wegen dieser Rahmenbedingungen nur noch begrenzt Sinn. Einfache Altersvorsorge für den normalen Bürger ist das jedenfalls nicht.

Ich bin gespannt, wie die nächsten 20 Jahre aussehen werden. Kehrt irgendwann Vernunft ein? Muß der Markt erst völlig zusammenbrechen, bevor die Erkenntnis reift, daß Freiwilligkeit und der Umstand, daß sich Geschäfte auch lohnen können müssen, eigentlich eine ganz gute Idee waren? Ich vermute, daß diese Fragen durch die Entwicklungen der Regulierung überholt werden. Die Eigentumsquote in Berlin lag 2014 bei rund 14% (Quelle Wikipedia), 2018 bei gut über 17% (Quelle Statista). Sie dürfte inzwischen bei über 20% angekommen sein. Diese Entwicklung wird weiter gehen. Dafür gibt es drei Gründe: (1) wenn keine Mietwohnungen mehr angeboten werden, muß jemand, der wohnen will, notgedrungen kaufen. (2) Wenn Vermieten unlukrativ ist, werden die Eigentümer nicht mehr in die Gebäude investieren. Miethäuser werden substanziell im Zeitablauf schlechter, Eigentumswohnungen hingegen nicht. Irgendwann wird schönes Wohnen nur noch in Eigentum möglich sein, Mieten wird zunehmend zum „Sozialghetto“. (3) Neu gebaut wird, was sich lohnt. Die Verknappung des Angebots an Eigentumswohnungen durch das Aufteilungsverbot stabilisiert die Preise. Die Inflation wird ihr übriges beitragen.

Je mehr Menschen in Eigentum statt zur Miete leben, desto mehr werden mietrechtliche Restriktionen an Bedeutung verlieren und desto weniger Akzeptanz werden solche in der Bevölkerung noch finden. Irgendwann wird sich das auch in den Wahlentscheidungen der Berliner bemerkbar machen. Vermutlich wird die Politik versuchen, das zu verlangsamen, wie es derzeit durch z.B. das Umwandlungsverbot (= Angebotsverknappung) und hohe Grunderwerbsteuern (= Nachfrageverknappung) geschieht. Daß sich private Eigentümer durch Verkauf aus dem Markt verabschieden, wenn sich Vermieten nicht mehr lohnt, kann das aber nicht aufhalten, und wenn sich die Berliner Bevölkerung in den bestehenden Rahmenbedingungen den Kauf nicht leisten kann, werden es Menschen von außerhalb sein, die in die alten und neuen Wohnungen einziehen. Ich schätze, daß der Prozeß durch die Politik nur verlangsamt, aber nicht aufgehalten oder umgekehrt werden kann – es sei denn, die Regulierung des Mietrechts wird deutlich und langfristig verläßlich reduziert, so daß sich Vermieten wieder lohnt. Daß es dazu kommt, damit rechne ich mit Blick auf die Entwicklungen der letzten 10 Jahre in absehbarer Zeit nicht.