Endlich Notar! – thematische Erweiterung dieses Blogs und einige persönliche Einsichten.

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Im Juni diesen Jahres wurde ich zum Notar bestellt – auf eine Stellenausschreibung im Oktober 2019, es hat also beinahe 3 Jahre gedauert. Während dieser Zeit ist viel passiert, unter anderem ein Mietendeckel und dessen gerichtliche Aufhebung, eine Corona-Pandemie mit Lockdowns, eine Bundestagswahl und ein Kriegsbeginn in Osteuropa. Als Anwalt hatte ich alle Hände voll zu tun und deshalb keine Eile, aber irgendwann möchte man dann doch schon, daß es weitergeht, und so war ich sehr froh, als ich kurz vor den Sommerferien jetzt endlich bestellt wurde.

Wie gründet man eigentlich ein neues Notarbüro?

In Berlin gilt, anders als zum Beispiel in Brandenburg, das sogenannte Anwaltsnotariat. Ich bin also nun beides: Rechtsanwalt und Notar. Von außen betrachtet könnte man meinen, daß das recht nah beieinander liegt und eigentlich nur eine Erweiterung des bisherigen ist. Organisatorisch ist das jedenfalls nicht so. Die Bestellung hat eine Fülle von Neuerungen bei uns in der Kanzlei ausgelöst und erfordert neue Abläufe in einem Umfang, die mich unter anderem eine ganze Weile davon abgehalten haben, Zeit für diesen Blog zu finden.

Beispielsweise dürfen Notariatsakten aus Datensicherheitsgründen nicht in einer Cloudsoftware geführt werden. Unsere Anwaltssoftware ist eine Cloudsoftware, also inkompatibel. Meine Kanzlei ist mit Apple-Rechnern ausgestattet, die gängige Notarsoftware läuft aber (nur) auf PC. Zu jeder Akte muß eine bereichsübergreifende Kollisions-/Vorbefassungsprüfung durchgeführt werden. Jetzt bringen Sie das mal unter einen Hut!

Solche Themen gibt es dutzende: Hardwareverschlüsselung, Signaturkarten, Siegel, Geldwäscheprüfungsroutinen, Datenschutzroutinen, Anmeldungen bei FIU, Transparenzregister, Grundbuchämtern, Anzeigen gegenüber der Dienstaufsicht, der Berliner und der Bundesnotarkammer, urkundenechte Tinte, Dokumentation der technischen Geeignetheit von Scannern, Druckern, Kopierern durch gerätebezogene Bescheinigungen der Hersteller, notariatsbezogene Verschwiegenheitsvereinbarungen mit allen Dienstleistern (Steuerberater, Lohnbüro, Softwareanbieter, Systemadministrator), Änderungen des Briefkopfs, neue Bankkonten nur für das Notariat. Ich habe sogar für einen vierstelligen Betrag einen Aktenschredderer gekauft, damit Papiermüll unser Büro in maximal 2 x 15 mm großen Schnipseln verlässt.

Auch der Zeitpunkt meiner Ernennung hatte es in sich, denn genau jetzt finden die größten Änderungen des Berufsrechts und der gesetzlichen Abläufe in der Organisation von Notariaten der letzten Jahrzehnte statt: so eine neue Dienstordnung für Notare, eine neue Verordnung zur Aktenführung in Zeiten der Digitalisierung (NotAktVV), Änderungen im Beurkundungsgesetz und der Bundesnotarordnung und eine Digitalisierung im Gesellschaftsrecht. Nach außen hin sichtbar ist das zum Beispiel darin, daß Urkunden ab 2022 keine UR-Nummern mehr tragen (= Urkundenrolle), sondern UVZ-Nummern (= Urkundenverzeichnis). Hinter der Umbenennung stehen in erheblichem Umfang anders geartete Organisations- und Aufbewahrungsstrukturen, und weil es so neu ist, gibt es noch keine Literatur für Auszubildende darüber, die ich meinen Mitarbeitern geben könnte und die erklärt, wie so ein Notariat organisatorisch im Sekretariat zu führen ist.

Es ist gar nicht so einfach, bei allen Neuerungen auf dem Laufenden zu bleiben, wenn alles andere auch neu ist.

Für all das braucht man Zeit. Zu Anfang September habe ich eine versierte Mietrechtskollegin eingestellt, Amélie-Charlotte von Oppen, die mir mit ihrer Erfahrung, ihrer Kompetenz und erheblichem Engagement in den Anwaltsakten zur Seite steht, damit ich zeitliche Freiräume für den Aufbau und Betrieb meines Notariats erhalte.

Organisation von Arbeitsabläufen in einem neuen Notariat

Mittlerweile sind die physischen Strukturen so weit eingerichtet, daß wir beginnen können, inhaltlich zu arbeiten. Was nun fehlt, ist eine Fachkraft für das Sekretariat. Das ist in Berlin schwierig, bislang haben wir niemanden gefunden.

So lernen meine Mitarbeiterin Frau Marx aus dem Anwaltssekretariat und ich Schritt für Schritt gemeinsam, was notwendig ist, um Urkunden richtig vorzubereiten und nach der Beurkundung richtig abzuwickeln. Die fehlende Routine in diesen Dingen führt einerseits dazu, daß wir langsam sind – die erste Unterschriftsbeglaubigung (Gebühr: 20 Euro) hat uns beide zum Beispiel einen ganzen Arbeitstag lang beschäftigt, weil wir uns anhand dieser auch die Abläufe im Urkundenverzeichnis der Bundesnotarkammer, das Siegeln, die völlig anderen Gebührenvorschriften einschließlich Rechtsmittelbelehrung in der Kostenrechnung und andere Dinge erarbeitet haben. Die fehlende Routine führt aber andererseits auch zu einer enormen Aufmerksamkeit für jede Kleinigkeit und zu einer höchst steilen Lernkurve an jedem einzelnen Arbeitstag. Nach und nach werden uns diese Dinge inzwischen vertrauter, haben wir das eine oder andere schon einmal gemacht und wissen, wie es geht oder haben eine Vorlage.

Thematische Erweiterung und neue Rechtsgebiete

Neben den rein technischen Abläufen kommt für mich persönlich ein weiterer sehr angenehmer Aspekt hinzu: Notariat betrifft nicht nur Immobilien. Nein, ich werde meiner Leidenschaft für das Immobilienrecht nicht untreu, aber die Erweiterung des fachlichen Horizonts in der Arbeit ist wirklich interessant! In den letzten 4 Wochen hatten wir zum Beispiel neben diversen Unterschriftsbeglaubigungen für verschiedene Anliegen so unterschiedliche Themen wie die Neugründung einer Gesellschaft, Vollmachten, einen Erbscheinsantrag und eine Schenkung. Auch ein Grundstückskauf nebst Grundschuldbestellung war dabei und weitere sind in Vorbereitung. Im Dezember werde ich als einer von zwei Notaren die Auktionen von Plettner und Brecht begleiten.

Dabei hatte ich anfangs die Befürchtung, daß mich diese für mich ungewohnte Bandbreite fachlich vor Herausforderungen stellt, die nicht so leicht zu meistern sein würden.

Zu meiner Überraschung ist es nicht so. Ja, die inhaltliche Arbeit ist anspruchsvoll. Die Rahmenbedingungen, die mich hierhin führten, haben aber dafür gesorgt, daß ich feststelle, dem gewachsen zu sein: vor den notariellen Fachprüfungen im Herbst 2018 und Frühjahr 2019 standen zeitintensive und mit versierten Notaren als Referenten besetzte Lehrgänge. Das Niveau der späteren Prüfungen verlangte mir in der Vorbereitung einiges ab. Anschließend standen (mehr als) 160 h Praxisausbildung beim Kollegen Harald Nieber. Seit den Lehrgängen habe ich aus Respekt vor der Aufgabe, aber auch aus Neugier zudem fortwährend die einschlägige Fachliteratur studiert. Schließlich habe ich als Berliner den Vorteil, daß die jährlich im September stattfindende Jahresarbeitstagung Notariat in den letzten Jahren durchweg im Maritimhotel in der Friedrichstraße organisiert war, ich also nirgendwohin anreisen muß und während der Tagung zu Hause übernachten kann. Die Referenten der dreitägigen Tagung sind hochkarätig besetzt: Richter der BGH-Senate zu den verschiedenen Rechtsgebieten, Notare mit beeindruckender Reputation, zum Teil als Autoren einschlägiger Standardkommentare, Führungspersönlichkeiten aus der Bundesnotarkammer. Wenn solche Referenten über Neuerungen oder Änderungen berichten, Praxishinweise geben und über Tricks aus dem Nähkästchen plaudern, bleibt es nicht aus, daß man etwas lernt.

Der neue Arbeitsalltag als Rechtsanwalt und Notar

All diese Rahmenbedingungen ergeben einen spannenden neuen Arbeitsalltag. Mit Respekt vor den anspruchsvollen Aufgaben, mit Sorgfalt, langsam, Schritt für Schritt in den notariellen Angelegenheiten, und parallel mit der Erfahrung und in der Routine von zwei Jahrzehnten Anwaltsbüro mit Vollgas weiter in den Prozessen und außergerichtlichen Streitigkeiten im Mietrecht, Maklerrecht und Grundstücksrecht.

Dabei profitiert das eine von dem anderen. Ich glaube, mein anwaltliches Auge macht mich zu einem besseren Notar, weil ich 20 Jahre lang immer wieder auch die Aufgabe hatte, Urkunden „zu knacken“, also Schwachstellen in Formulierungen zu finden oder andere Auslegungsmöglichkeiten als die vom Gegner präferierte, um für meine Mandanten eine rechtlich vorteilhafte Argumentation führen zu können. Das hilft mir jetzt als Notar, in Urkundsgeschäften solide Gestaltungen zu formulieren. Umgekehrt macht mich meine notarielle Ausbildung zu einem besseren Anwalt, weil ich in Formalfragen sattelfester bin, dichter dran an gesetzlichen Neuerungen oder Änderungen der Rechtsprechung, und einen bereichsübergreifenden Blick entwickle, der bei reiner Fokussierung auf das Immobilienrecht nicht gegeben wäre. Die notariellen Fachprüfungen haben das vorausgesetzt: eine Nachlaßinsolvenz über das Vermögen eines Immobilieneigentümers, der zugleich Gesellschafter einer GmbH war, die eine Rückauflassungsvormerkung im Grundbuch hatte für den Fall, daß eine nicht besonders bestimmt geregelte Bedingung eintritt, der sich in Scheidung befand und aufgrund eines handschriftlichen Testaments von einem Minderjährigen beerbt wurde – solche Aufgabenstellungen decken etliche Rechtsgebiete auf einmal ab und sind ohne zumindest rudimentäre Kenntnisse in allen diesen nicht ansatzweise einzuschätzen.

Auch wenn mir solche gehäuft-komplexen Fälle in der Praxis bislang nicht begegnet sind, so doch immer wieder welche, in denen Überschneidungen mit zumindest einem zweiten Rechtsgebiet auftreten. Daß ich mich mit notariellen Fragestellungen rechtsgebietsübergreifend theoretisch befasst habe, hilft dann bei der Einschätzung, wenn ich anwaltlich mit entsprechenden Fällen konfrontiert werde.

Wie geht es weiter?

So schön es ist, Schritt für Schritt von Grund auf alles neu aufzubauen, so wäre ich doch über eine ausgebildete und routinierte Notarfachangestellte sehr froh. Falls Sie zufällig eine solche sind und sich beruflich neu orientieren, bewerben Sie sich gern bei mir per email unter notariat@ikb-law.de.

Künftig werde ich diesen Blog thematisch etwas erweitern. Es wird nun auch Beiträge aus notarieller Sicht geben, in denen ich mit der gebotenen Zurückhaltung sachlich über einschlägige Themen informiere. Parallel läuft unser Anwaltsbereich natürlich weiter, und nach wie vor passiert in der Rechtsprechung und Politik unvermindert viel, was für Immobilieneigentümer von Relevanz ist. Auch dies werde ich wie gewohnt fortsetzen.

Ihr

Tobias Scheidacker

Rechtsanwalt und Notar,

Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht