BGH: Gründung eines Anwaltsnotariats ist teuer, aufwendig und fachlich anspruchsvoll

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Der BGH bescheinigt: die Gründung eines Anwaltsnotariats ist teuer, aufwendig und fachlich enorm anspruchsvoll.

Das kann ich nur bestätigen. Aber zunächst zum Hintergrund der Entscheidung:

Mit Ende des Monats, in dem ein Notar 70 Jahre alt wird, erlischt sein Amt (§§ 47, 48a BnotO). Ein Kollege wehrte sich dagegen, weil er länger praktizieren wollte und das nach eigener Einschätzung physisch und psychisch auch gekonnt hätte. Der BGH entschied in dem hierzu geführten Verfahren (NotZ(Brfg) 4/22), dass die Altersgrenze keine Altersdiskriminierung ist, aus folgenden Gründen:

Die Altersgrenze soll den Generationenwechsel erleichtern und den Berufsstand der Notare verjüngen. Sie ist nach den vom BGH getroffenen Feststellungen zur Erreichung dieses Ziels nach wie vor erforderlich. Aus einem für den Zeitraum 2020 bis 2022 eingeholten Gutachten der Bundesnotarkammer zur Anzahl der bestehenden und ausgeschriebenen Stellen und der eingegangenen Bewerbungen sowie zur Verteilung der Notarinnen und Notare in Altersgruppen ergibt sich, dass im hauptberuflichen Notariat bundesweit ein erheblicher Bewerberüberhang herrscht. Lediglich in den Oberlandesgerichtsbezirken, in denen Rechtsanwälte als Notare im Nebenberuf tätig sind (Braunschweig, Bremen, Celle, Frankfurt am Main, Hamm, Oldenburg, Schleswig sowie der Bezirk des Kammergerichts und im Oberlandesgerichtsbezirk Düsseldorf der rechtsrheinische Teil des Landgerichtsbezirks Duisburg sowie der Amtsgerichtsbezirk Emmerich), besteht teilweise ein erheblicher Bewerbermangel. Daraus und aus weiteren statistischen Daten hat der Senat für Notarsachen geschlossen, dass es für den Notarberuf keinen Nachwuchsmangel aus demographischen Gründen gibt.

Der Bewerbermangel im Anwaltsnotariat hat andere, seit etwa 2010 bestehende strukturelle Gründe. Dies sind insbesondere die neben der Berufstätigkeit als Rechtsanwalt vorzubereitende und abzulegende notarielle Fachprüfung sowie die sich stetig weiter erhöhenden (auch technischen) Anforderungen an die Ausübung des Nebenberufs.

Die Altersgrenze ist vor diesem Hintergrund auch im Anwaltsnotariat nach wie vor erforderlich. Bleiben lebensältere Notare mit gut eingeführten Notarstellen und einem großen Stamm an Urkundsbeteiligten ohne Altersgrenze im Amt, haben jüngere Rechtsanwälte keine hinreichende und planbare Aussicht auf wirtschaftlich leistungsfähige Notariate. Sie werden dann oftmals den erheblichen Aufwand für den Einstieg in den Nebenberuf nicht auf sich nehmen.

Auch zu den Anforderungen der fachlichen Qualifikation führt der BGH näher aus (Rn. 31): Die Stellen für Anwaltsnotare wurden zunächst im Wesentlichen nach der im zweiten Staatsexamen erzielten Note vergeben. Nachdem dieses Kriterium den verfassungsrechtlichen Erfordernissen nicht genügte, werden Anwaltsnotare seit 2010 auf der Grundlage der Ergebnisse einer notariellen Fachprüfung ausgewählt. Dadurch sollte ein Zugangs- und Auswahlsystem eingeführt werden, das sowohl fachliche Mindeststandards sichert als auch eine den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechende Auswahlentscheidung ermöglicht (BT-Drucks. 16/4972 S. 1). Im Gegensatz zu der vorher geltenden Rechtslage, nach der nicht gewährleistet war, dass jeder Bewerber eine systematische und möglichst umfassende fachliche Qualifikation erworben hatte, sollte im Interesse der Rechtsuchenden und der Rechtspflege an hoher und umfassender Qualifikation der Anwaltsnotare als auch im Interesse der Bewerber, nach ihrer Eignung, Leistung und Befähigung für das Amt des Notars ausgewählt zu werden, der Zugang zum Anwaltsnotariat neu geregelt werden. Die notarielle Fachprüfung deckt alle relevanten Gebiete ab und stellt durch ihre Ausgestaltung sicher, dass die Eignung und Befähigung der Bewerber zu einer praxisgerechten Umsetzung ihrer Kenntnisse geprüft werden. Sie gewährleistet, dass nur solche Bewerber zu Notaren bestellt werden, die sich umfassend auf die notarielle Tätigkeit vorbereitet und unter Beweis gestellt haben, dass sie über die für die Ausübung dieses Amts erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen und sie praxisgerecht umsetzen können.

Mit diesen Anforderungen geht einher, dass das erfolgreiche Ablegen der notariellen Fachprüfung einen erheblichen persönlichen, zeitlichen und finanziellen Aufwand erfordert, der neben der Ausübung des Anwaltsberufs zu erbringen ist. Angesichts der Quote der nicht bestandenen Fachprüfungen von 18,16 % im Mittel sämtlicher Prüfungstermine von 2010 bis 2022 (Quelle: http://www.pruefungsamt-bnotk.de/service-download-bereich/statistiken) ist zudem vor dem Hintergrund der nur einmaligen Wiederholungsmöglichkeit nicht gesichert, dass er zum Erfolg führt.

Da der Anwaltsnotar – anders als es in der Regel im hauptberuflichen Notariat der Fall ist – keine Notarstelle eines ausscheidenden Notars übernimmt, begründet die Errichtung und Einrichtung der von ihm zu unterhaltenden und während der üblichen Geschäftszeiten offenzuhaltenden Geschäftsstelle zumeist einen erheblichen organisatorischen und kostenmäßigen Aufwand. Die Geschäftsstelle muss so eingerichtet sein, wie es zur ordnungsgemäßen Amtsausübung, insbesondere zur Wahrung des Amtsgeheimnisses und zur Durchführung und Abwicklung der Urkundstätigkeit technisch und organisatorisch erforderlich ist. Das beinhaltet auch die Beschäftigung entsprechend qualifizierter Notarfachangestellter sowie im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung überdies insbesondere die zusätzlich erforderliche technische Ausstattung etwa zur Teilnahme am Zentralen Vorsorgeregister, am Zentralen Testamentsregister und am Elektronischen Urkundenarchiv.  Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahmegeht der BGH davon aus, dass dafür jährlich oftmals ein sechsstelliger Betrag aufzuwenden sein wird. Dabei besteht anders als in der Regel im hauptberuflichen Notariat das Risiko, dass sich die über die für die Führung der Anwaltskanzlei hinausgehenden zusätzlichen Kosten für die Einrichtung und Unterhaltung der Geschäftsstelle vor dem Hintergrund, dass der neu bestellte Anwaltsnotar mit den langjährig eingeführten, in seinem oder den benachbarten Amtsgerichtsbezirken tätigen Notaren in Konkurrenz tritt, in der Anfangszeit nicht oder nur schwer amortisieren.

Die Lektüre dieser Entscheidung tut mir persönlich gut. Denn sie respektiert zum einen ausdrücklich den Weg, den ich zurückgelegt habe, um überhaupt bis zur Zulassung zu kommen: die viele Zeit für die Kurse und die Vorbereitung auf die Fachprüfungen, die faktisch einen mittleren fünfstelligen Einkommensverzicht darstellten, weil ich sie nicht zum Verdienen meines Lebensunterhaltes einsetzen konnte. Der Urlaub, den meine Kinder im Pool und meine Frau im Meer verbracht haben, während ich im Hotelzimmer auf dem Balkon saß und Fachliteratur büffelte, trotz zwanzigjähriger Berufserfahrung als Anwalt. Die Kosten, der Prüfungsdruck, die langen Monate Praxisausbildung in einem anderen Notariat nach bestandenen Prüfungen, die jahrelange Durchleuchtung meiner persönlichen Zuverlässigkeit durch die Notarabteilung des Oberlandesgerichts. Zum anderen spricht der BGH all diejenigen Punkte an, die mir seit Zulassung im Juni letzten Jahres das Leben schwer machen: der organisatorische und technische Aufwand, die Personalsuche, die in der Tat sechsstelligen wiederkehrenden Kosten für all das und die „Konkurrenz“ der alteingesessenen Notarbüros, die kaum Raum für einen Kollegen lassen, der seinen eigenen Weg gehen will und ohne Rückendeckung durch vorhandene Strukturen neu gründet.

Und so übt man plötzlich vier Berufe aus: den des Anwalts, den des Notars, den des Managers eines im Aufbau befindlichen Unternehmens mit all dem, was da dran hängt, und den des Akquisiteurs einschließlich Abendveranstaltungen, um überhaupt erst einmal die neue Profession bekannt zu machen. Das sind 70-Stunden-Wochen. Die Erträge aus dem Anwaltsbereich gehen dabei zurück (weil man weniger Zeit dafür hat), die Erträge aus dem Notariat kommen noch nicht in gleicher verlässlicher Weise herein (weil viele noch nicht wissen, dass man Notar ist, oder abwarten, dass man Erfahrung sammelt, oder bei einem älteren Kollegen seit langer Zeit gut aufgehoben sind), und die viel höheren Kosten der Bürostrukturen im Notariat kommen zu den bisherigen Kosten des Anwaltsbüros dazu. In meinem persönlichen Fall kam die Zulassung zudem zu einem Zeitpunkt, als die allgemeinen Beurkundungszahlen einbrachen, weil der Immobilienmarkt in eine Krise rutschte. Sie haben sich bis heute nicht erholt.

All diese Rahmenbedingungen würdigen die BGH-Richter in ihrer Entscheidung. Sie teilen dadurch mit, dass sie das sehen. Das Aufrechterhalten der Altersgrenze soll Notaren wie mir helfen, eine Chance zu haben. Dafür bin ich dankbar.

Tobias Scheidacker

Notar in Berlin-Charlottenburg