Berlin ohne Mietspiegel

Veröffentlicht von

Ausgangslage

Am 6. Mai 2021 veröffentlichte der Berliner Senat den Berliner Mietspiegel 2021. In der amtlichen Broschüre heißt es, daß es sich um einen qualifizierten Mietspiegel handelt. Allerdings sei er diesmal nur vom Senat und den Mieterverbänden unterzeichnet, die Vermieterseite habe lediglich „beratend mitgewirkt“.

Etwa zeitgleich veröffentlichte Rudolf Beuermann in der Fachzeitschrift „Das Grundeigentum“ (GE 2021 Mietspiegelbeilage Seiten 21 und 22) einen Beitrag, der es in sich hat. Folgt man dem, ist das Papier, das der Senat als qualifizierten Mietspiegel 2021 bezeichnet, weder qualifiziert noch einfach, sondern gar nichts, ein rechtliches „Nullum“. Und auch Prof. Sebastian von der Uni Regensburg vertritt öffentlich diese Auffassung (siehe hier). Dabei ist Prof. Sebastian nicht irgendwer, sondern Vorsitzender der gif-Mietspiegelkommission und vom Deutschen Bundestag bestellter Sachverständiger für das parlamentarische Verfahren zur Mietspiegelreform und weiterer mietrechtlicher Reformvorschläge.

In der Presse wurde das aufgegriffen. Die Berliner Zeitung titelt: „Professor schlägt Alarm: Berlin angeblich ohne Mietspiegel und Mietpreisbremse“, die Morgenpost (hinter einer Bezahlschranke) etwas zurückhaltender „Wissenschaftler hält Berlins neuen Mietspiegel für ungültig“. Auf der Webseite der Senatsverwaltung findet sich seit kurzem ein Hinweis, daß die MietenbegrenzungsVO nach einem Urteil des BVerfG nichtig sei – eine Wertung, die nur plausibel ist, wenn man unterstellt, daß es keinen Mietspiegel gibt.

Was ist dran an diesem juristischen Streit? Und welche Auswirkungen hat das konkret?

In dem vorliegenden Beitrag werde ich erörtern, mit welchen Argumenten diese Diskussion geführt wird und was davon aus meiner Sicht zu halten ist. In folgenden Beiträgen werde ich darauf eingehen, was das für Neuvermietungen, für Mieterhöhungen im laufenden Mietverhältnis und für Mietpreisbremserügen bedeutet.

Was ist ein qualifizierter Mietspiegel?

Ein qualifizierter Mietspiegel ist nach der gesetzlichen Definition in § 558d BGB gegeben, wenn es sich a) um einen Mietspiegel iSd. § 558c BGB handelt und dieser b) nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt und von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter anerkannt worden ist. Er ist im Abstand von zwei Jahren der Marktentwicklung anzupassen. Dabei kann eine Stichprobe oder die Entwicklung des vom Statistischen Bundesamt ermittelten Preisindexes für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte in Deutschland zugrunde gelegt werden. Nach vier Jahren ist der qualifizierte Mietspiegel neu zu erstellen.
Liegt ein diesen Kriterien entsprechender Mietspiegel vor, besteht eine gesetzliche Vermutung, dass die darin bezeichneten Entgelte die sog. „ortsübliche Vergleichsmiete“ wiedergeben.

Eine gesetzliche Vermutung ist ein gewichtiger Umstand in Prozessen: Gerichte können die vermutete Tatsache ohne Sachverständigengutachten oder anderweitige Überprüfung zur Grundlage ihrer Entscheidung machen.

Die ortsübliche Vergleichsmiete (oüVm) ist wiederum Anknüpfungspunkt sowohl für Neuvermietungen bei Geltung der Mietpreisbremse als auch für Mieterhöhungen im laufenden Mietverhältnis:

  • Neuvermietungen dürfen gemäß § 556d Abs. 1 BGB die oüVm um nicht mehr als 10% übersteigen (von Ausnahmefällen abgesehen).
  • Mieterhöhungen sind der Höhe nach doppelt begrenzt, und zwar 1) um 15% alle 3 Jahre und 2) durch die oüVm, § 558 Abs. 1 BGB. Über diese hinaus kann nicht erhöht werden. Es ist also falsch, wenn Mieter(vertreter) behaupten, der Vermieter könne alle 3 Jahre die Miete erhöhen. Das kann er nur, wenn sie unterhalb der oüVm liegt, welche ihrerseits deutlich unterhalb der Marktmiete liegt (was ein separates Thema ist). Wenn gefordert wird, Mieterhöhungen weiter zu beschränken, so bedeutet das also nichts anderes als daß Mieten, die unterdurchschnittlich sind, nicht auf ein durchschnittliches Maß steigen, sondern unterdurchschnittlich bleiben sollen.

Ohne qualifizierten Mietspiegel fehlt eine solide Grundlage für die Berechnung dieser beiden mieterschützenden Instrumente.

Ist der Berliner Mietspiegel 2021 ein qualifizierter Mietspiegel?

Das wäre er, wenn er nach der oben zitierten gesetzlichen Definition nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt wurde. Dazu muß er entweder nach 4 Jahren neu erstellt oder, wenn es vor 2 Jahren einen neu erstellten Mietspiegel gab, der Marktentwicklung angepasst worden sein durch a) Erhebung einer Stichprobe oder b) Entwicklung mit dem Preisindex.

Ausweislich der amtlichen Broschüre wurde der Mietspiegel 2021 nicht neu erstellt. Eine Datenerhebung liegt ihm nicht zugrunde. Statt dessen wurde er erklärtermaßen dadurch erstellt, daß der Mietspiegel 2019 durch Ansatz des Preisindexes fortgeschrieben wurde:

Allerdings ist der Mietspiegel 2019 seinerseits nicht neu erstellt, sondern bereits eine Fortschreibung des Mietspiegels 2017. In der amtlichen Mietspiegelbroschüre 2019 wurde hierzu erklärt:

Nun geht eine Fortschreibung einer Fortschreibung ausweislich des Gesetzes nicht, sondern nach 4 Jahren muß ein Mietspiegel eben neu erstellt werden. Anders gesagt: eine Fortschreibung einer Fortschreibung genügt nicht den „anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen“.

Hieraus schlußfolgern sowohl Herr Beuermann als auch Prof. Sebastian, daß der Berliner Mietspiegel 2021 nicht qualifiziert im Sinne des § 558d BGB ist.

Dem hält der Senat mit der oben ausschnittweise wiedergegebenen Anmerkung in seiner Mietspiegelbroschüre 2021 entgegen, daß der Mietspiegel 2019 „auf der Grundlage einer empirischen primärstatistischen Repräsentativerhebung erstellt“ worden sei. Mit anderen Worten: man hat den Mietspiegel 2019 zwar damals als Fortschreibung bezeichnet. In Wirklichkeit sei es aber eine Neuerstellung gewesen.

Dieses Argument ist teilweise richtig. Für den Mietspiegel 2019 wurden in der Tat Daten erhoben. Es handelt sich aber dennoch um eine Fortschreibung des Mietspiegels 2017. Im sog. „Endbericht„, welcher das methodische Vorgehen darstellt, wird das näher ausgeführt, unter anderem:

Seite 2:

Seite 6:

Seite 10:

Der Mietspiegel 2019 beruht also zwar auf einer Datenerhebung, ist aber dennoch eine Fortschreibung des Mietspiegels 2017 im Sinne der anerkannten wissenschaftlichen Grundsätze der Statistik, und zwar in der Variante „Erhebung einer Stichprobe“ gemäß § 558d BGB. Folgerichtig haben Senat und Verbände der Mieter- und Vermieterseite den Mietspiegel 2019 als Fortschreibung bezeichnet. Nun zu behaupten, das sei in Wahrheit unzutreffend, würde ich zumindest als sportlich bezeichnen. Sicher wissen wir das erst nach gerichtlicher Klärung, aber es spricht viel dafür, daß sich der Senat an seiner eigenen Einschätzung aus 2019 festhalten lassen muß.

Ist der Berliner Mietspiegel 2021 überhaupt ein (wenigstens einfacher) Mietspiegel?

Ein (einfacher) Mietspiegel ist gemäß § 558c BGB eine Übersicht über die ortsübliche Vergleichsmiete, soweit die Übersicht von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter gemeinsam erstellt oder anerkannt worden ist. Auch solche Mietspiegel sollen im Abstand von zwei Jahren der Marktentwicklung angepasst werden. Was fehlt, ist die Vermutungswirkung: ein einfacher Mietspiegel ist allenfalls ein Indiz dafür, daß es die in ihm ausgewiesenen Werte gibt, aber er beweist nichts. Wenn sich vor Gericht eine Seite auf einen einfachen Mietspiegel stützt, kann die andere Seite einfach bestreiten, daß dessen Inhalt zutrifft. Dann muß das Gericht Beweis erheben, zum Beispiel durch Sachverständigengutachten.

Allerdings liegt nur dann ein einfacher bzw. überhaupt ein Mietspiegel vor, wenn er eine „Übersicht über die ortsübliche Vergleichsmiete“ enthält. § 558 Abs. 2 BGB sagt uns, was die oüVm genau ist: Sie wird gebildet aus den üblichen Entgelten, die in der Gemeinde oder einer vergleichbaren Gemeinde für Wohnraum vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage einschließlich der energetischen Ausstattung und Beschaffenheit in den letzten sechs Jahren vereinbart oder, von Erhöhungen nach § 560 abgesehen, geändert worden sind.

Der 6-Jahres-Zeitraum ist seit dem 01.01.2021 maßgeblich. Bis zum 31.12.2020 galt ein 4-Jahres-Zeitraum. Deshalb wurde der Mietspiegel 2019 auf einer 4jährigen Basis erstellt. Da der Mietspiegel 2021 den Mietspiegel 2019 lediglich weiter-indexiert, beruht er ebenfalls auf einer 4jährigen Basis.

Das wiederum ist nicht mehr zulässig. Die Übergangsvorschrift (hier) erlaubt so etwas nur für Mietspiegel, die vor dem 01.01.2021 veröffentlicht wurden. Der Mietspiegel 2021 wurde aber erst am 06.05.2021 veröffentlicht.

Hieraus leiten Herr Beuermann und Prof. Sebastian ab, daß der Mietspiegel 2021 auch kein einfacher, sondern überhaupt kein Mietspiegel ist. Denn er enthält keine Übersicht der oüVm im Sinne der geltenden, sondern im Sinne einer veralteten, nicht mehr geltenden gesetzlichen Definition, die ausweislich der Übergangsvorschrift ausdrücklich nicht weiter anwendbar ist.

Hierzu fällt mir kein Gegenargument ein.

Kann dann wenigstens der Mietspiegel 2019 weiter verwendet werden?

Es ist nicht gänzlich ausgeschlossen, auch nach Ablaufen eines Mietspiegels diesen noch weiter zu verwenden, zumindest für Mieterhöhungen. Zwar ist ein 20 Jahre alter Mietspiegel nicht mehr anwendbar (BGH VIII ZR 340/18). Nimmt der Vermieter aber kurz nach der Veröffentlichung eines neuen Mietspiegels auf den vorherigen Bezug, ist sein Erhöhungsverlangen formal ordnungsgemäß (BGH VIII ZR 337/10). Wie weit sich das zeitlich ausdehnen läßt, ist nicht abschließend entschieden, aber für eine Übergangsphase in der aktuellen unklaren Berliner Lage könnte das doch vielleicht reichen?

Wohl nicht. Denn dem steht ebenfalls die Übergangsvorschrift der veränderten Betrachtungszeiträume entgegen (hier): ein Mietspiegel, der noch auf der 4jährigen Basis erhoben wurde, darf maximal 2 Jahre nach seiner Veröffentlichung weiter angewandt werden. Der Berliner Mietspiegel 2019 wurde am 12.05.2019 veröffentlicht. Er ist damit spätestens ab heute, den 13.05.2021, nicht mehr anwendbar. Die Übergangsvorschrift beschränkt die gesetzliche Nichtanwendungs-Vorgabe nicht auf qualifizierte Mietspiegel, sondern spricht generell vom „Mietspiegel“, also auch dem einfachen. Damit gilt: auf den 2019er kann nicht zurückgegriffen werden.

Fazit

In Berlin existiert mit hoher Wahrscheinlichkeit seit heute, den 13.05.2021, kein Mietspiegel mehr. Der als 2021er veröffentlichte Mietspiegel entspricht weder den gesetzlichen Vorgaben für qualifizierte noch für einfache Mietspiegel. Dort, wo das BGB von „Mietspiegel“ spricht, ist etwas gemeint, das der „Mietspiegel 2021“ nicht erfüllt. Der 2019er Mietspiegel ist kraft gesetzlicher Übergangsvorschrift gestern abgelaufen und kann deshalb nicht hilfsweise noch herangezogen werden.

Was das für die mietrechtliche Praxis bedeutet, erörtere ich in folgenden Beiträgen in den nächsten Tagen.

erster Folgebeitrag: Mieterhöhung ohne Mietspiegel

zweiter Folgebeitrag: Neuvermietung ohne Mietpreisbremse

Bitcoin, Ethereum, Dogecoin, oder Shiba Inu: Ihre Unterstützung für meine Arbeit an diesem Blog

Dieser Blog ist für Sie, meine Leser, werbefrei und kostenlos zugänglich. Das wird auch so bleiben. Mich selbst kostet er hingegen einiges an Arbeit und Zeit, überwiegend am Feierabend oder an Wochenenden. Wenn Sie durch die Informationen in diesem Blog Geld gespart oder eingenommen haben, mich motivieren wollen, diese Arbeit zu intensivieren, oder wenn Sie mir einfach nur eine Anerkennung ausdrücken wollen, freue ich mich über Ihre Überweisung:

Bitcoin (BTC): bc1q5ee7njg7sea5n3s9uxgltazg7rmnx0v237d27r

Ethereum (ETH): 0xFc2ed460a3c45F0d33CaB561335916DCf37EBAE1

Dogecoin (DOGE): DRLwupGzPnovTWJxmQJeRU2e4tSCqffLp3

Shiba Inu Coin (SHIB): 0xFc2ed460a3c45F0d33CaB561335916DCf37EBAE1