Kommentar zur Mieterdemo

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Gestern gab es eine Demo zum „Mietenwahnsinn“ in Berlin. Laut Berliner Zeitung haben 254 Veranstalter dafür getrommelt, es kamen trotzdem nur knapp 15.000 Leute. Das Interesse der Bevölkerung an Frontenbildung ist also gering. Das mag auch daran liegen, daß die Berliner Mieten im innerdeutschen oder europäischen Vergleich gar nicht hoch sind. Die Berliner Zeitung berichtete und kommentierte gleichwohl darüber mehrfach und positiv, unter anderem über Plakate mit dem Tenor, „Mieten müssen bezahlbar sein“, „denn die HÄUSER gehören UNS“.

Letzteres ist ein Irrtum, und da liegt auch ein wesentlicher Teil des Problems. Die Häuser gehören eben nicht den Mietern, deswegen können die auch nicht zu Betriebskosten, also billig, darin wohnen.

Der Slogan „Mieten müssen bezahlbar sein“ ist zu kurz gedacht, er sollte lauten: „Wohnen muß bezahlbar sein“. Ich bin mir sicher, kein Demo-Teilnehmer würde das nicht ebenfalls und sofort unterschreiben. Nur die „Mieten“ zu adressieren, betreibt Spaltung und Konfrontation: die Mieter hier, die Vermieter da. Würde man statt dessen das „Wohnen“ adressieren, hätten alle ein gemeinsames Ziel, aus einer Spaltung würde eine Zusammenarbeit mit der Aufgabe, daß alle bezahlbar wohnen können. Allerdings trüge das die Gefahr in sich, daß sich die Leute dann einen anderen Gegner suchen und über die wahren Gründe der deutlich gestiegenen Wohnkosten nachdenken. Neuer Gegner wäre dann vielleicht die Politik, die Wohnungsbau blockiert und verteuert und durch Grunderwerbsteuer und Aufteilungsverbote Wohnungskäufe verhindert.

Als Rechtsberater im Kreuzberger Ortsverein von Haus & Grund sitzen mir unter anderem Wohnungseigentümer gegenüber, die zugleich Mieter sind. In diesen Personen konzentriert sich die ganze Absurdität der Politisierung des Themas „Wohnen“. Es sind zumeist langjährige Mieter, die sich eine Zusatzrente fürs Alter aufbauen wollen. Rürup-Rente, Lebensversicherung oder Zinssparen fallen da heutzutage raus, Aktien sind auch nicht was für jeden. Die einzige verbliebene Möglichkeit der Altersvorsorge ist der Kauf einer vermieteten Eigentumswohnung. Hier kommen einem die extrem niedrigen Zinsen entgegen, aber mittlerweile ist es trotzdem teuer: wenn man 50 qm für 150.000 Euro kauft, kommen nochmal rund 25.000 Euro Steuer und Kaufnebenkosten dazu. Bei 175.000 Euro Kaufkosten betragen 2% Zins 3.500 Euro im Jahr, das sind knapp 300 Euro im Monat. Es kommt monatliches Wohngeld (Nebenkosten, Verwaltungskosten, Instandhaltungsrücklage) von 2 bis 3 Euro/qm hinzu, also weitere 100 bis 150 Euro. Das ergibt insgesamt 400 bis 450 Euro und darin liegt noch keine Rendite. Auf den qm sind das schon 8 bis 9 Euro, die man als Warmmiete braucht, um die Eigenkosten an Zins und Hauskosten zu bezahlen. Wenn dann noch 2% Tilgung dazu kommen soll, was wenig ist, bräuchte man 300 Euro monatlich mehr, das ergibt eine Warmmiete von 14 bis 15 Euro. Mieten in dieser Höhe sind in Berlin nur in den Lagen zu erzielen, in denen die Kaufpreise doppelt so hoch liegen. Ohne Eigenanteil, etwa in Höhe der Tilgungskosten, wird es also nicht gehen. Umgekehrt bedeutet das: bei 8 oder 9 Euro Warmmiete wohnt der Mieter zu reinen Kosten. Eine Rendite ist hier noch nicht drin.

Die notwendige Miete wird also nicht durch Vermietergier bestimmt, sondern vom Markt der Kaufpreise vorgegeben.

Gleichwohl kann das Modell sinnvoll sein, denn der Kaufpreis ändert sich nicht nachträglich, wohl aber die Miethöhe. Der Vermieter kann, wenn er regelmäßig anpasst, nach 10 oder 15 Jahren zu einer kleinen Rendite kommen, vorausgesetzt die notwendigen Investitionen in das Gebäude oder die Wohnung bleiben überschaubar. Diese Rendite ist Belohnung für sein wirtschaftliches Risiko, das er mit dem Kauf eingeht. So spart man über die Jahrzehnte bis zur Rente den Kredit ab und hat dann im Alter entweder ein Zusatzeinkommen in Höhe der Mietüberschüsse oder man kann günstig selbst dort wohnen, weil man von der eigenen Rente weniger für Wohnen ausgibt. Das Modell geht davon aus, daß die Leute zumindest bis zur Rente in ihrer jetzigen oder anderen Wohnungen selbst Mieter bleiben, das Thema also aus beiden Richtungen erleben. Als Vermieter haben sie ein Interesse daran, den Ertrag ihrer Kapitalanlage zu verbessern. Als Mieter haben sie ein Interesse daran, selbst nicht so viel für Wohnen zu bezahlen. Man sieht daran, daß politische Feindbilder und Frontenbildung hier nicht viel beitragen können.

Unsere Bausenatorin äußerte sich der Berliner Zeitung zufolge dahin, daß Umsteuerungen im Mietrecht nötig seien. Daß Mieten um 15% alle 3 Jahre steigen können, sei zu hoch. Schauen wir einmal, wo das herkommt.

Die Ursprungsfassung des BGB, die am 01.01.1900 in Kraft trat, sah keinen besonderen Kündigungsschutz vor. Es gab im wesentlichen zwei Vorschriften über die Vermieterkündigung:

§ 564 BGB (01.01.1900)

Das Miethverhältniß endigt mit dem Ablaufe der Zeit, für die es eingegangen ist.
Ist die Miethzeit nicht bestimmt, so kann jeder Theil das Miethverhältniß nach den Vorschriften des § 565 kündigen.

§ 565 BGB (01.01.1900)

Bei Grundstücken ist die Kündigung nur für den Schluß eines Kalendervierteljahrs zulässig; sie hat spätestens am dritten Werktage des Vierteljahrs zu erfolgen. Ist der Miethzins nach Monaten bemessen, so ist die Kündigung nur für den Schluß eines Kalendermonats zulässig; sie hat spätestens am fünfzehnten des Monats zu erfolgen. Ist der Miethzins nach Wochen bemessen, so ist die Kündigung nur für den Schluß einer Kalenderwoche zulässig; sie hat spätestens am ersten Werktage der Woche zu erfolgen.
Bei beweglichen Sachen hat die Kündigung spätestens am dritten Tage vor dem Tage zu erfolgen, an welchem das Miethverhältniß endigen soll.
Ist der Miethzins für ein Grundstück oder für eine bewegliche Sache nach Tagen bemessen, so ist die Kündigung an jedem Tage für den folgenden Tag zulässig.
Die Vorschriften des Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 gelten auch für die Fälle, in denen das Miethverhältniß unter Einhaltung der gesetzlichen Frist vorzeitig gekündigt werden kann.

Wohnraummietverträge konnten also befristet geschlossen werden, z.B. auf 3 Monate oder 1 Jahr. War die Mietzeit um, mußte der Mieter raus, es sei denn, man schloß einen neuen Vertrag oder verlängerte den alten. War der Mietvertrag unbefristet geschlossen, konnte der Vermieter mit relativ kurzer Frist einfach kündigen, einen Grund brauchte er dafür nicht. Das bedeutete, daß der Vermieter jeweils nach Ablauf der Mietzeit die marktübliche Miete neu vereinbaren konnte. Ein Recht der Mieterhöhungen war nicht nötig und gab es auch nicht, der Preis wurde allein durch Angebot und Nachfrage reguliert.

Dieser Rechtszustand blieb über 70 Jahre unverändert. Erst 1974 wurden mit dem 2. Wohnraumkündigungsschutzgesetz (2. WKSchG) eine zeitliche Befristung von Wohnraummietverträgen und die grundlose Kündigung abgeschafft. Seit dem kann ein Vermieter seine Wohnung nicht mehr zurückverlangen, wenn er sie zurück haben will, sondern er braucht einen Kündigungsgrund. Der Gesetzgeber sah darin damals ein erhebliches verfassungsrechtliches Problem: wenn man dem Vermieter die Rückforderung verwehrt, braucht man einen Ausgleich in der Mietentwicklung, um das Eigentum nicht durch Zeitablauf zu entwerten. Denn Eigentum bedeutet im Grundsatz, daß man mit seiner Sache nach Belieben verfahren darf (§ 903 BGB) und, wenn man sie jemand anderem überlassen hat, jederzeit zurückverlangen kann (§ 985 BGB). Wenn man sie nicht mehr zurückverlangen kann, muß zumindest ein ausreichendes Surrogat gewährleistet sein, also die marktübliche Miete. Es bedurfte deshalb einer entsprechenden Anpassungsmöglichkeit. In Artikel 3 führte das 2. WKSchG deshalb zugleich ein „Gesetz zur Regelung der Miethöhe“ ein. Dieses regelte in § 2, daß der Vermieter im Abstand von 1 Jahr eine Mietanpassung auf die ortsübliche Miete verlangen kann, wenn diese höher war als die vom Mieter geschuldete Miete. Punkt. Es gab weder eine Kappungsgrenze noch eine andere Begrenzung. Wenn der Mieter 1 DM pro qm Miete zahlte und die marktübliche Miete betrug 3 DM pro qm, dann verdreifachte sich die Miete auf Verlangen des Vermieters. Grund war das verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsprinzip, daß man einem Eigentümer sein Eigentum nicht vorenthalten darf, wenn man das aber doch tut, ihm jedenfalls die angemessene wirtschaftliche Verwertung nicht vorenthalten darf, weil das Eigentum andernfalls entwertet.

Heute sind wir davon schon weit entfernt. Liegt die Miete bei 5 Euro pro qm, kann der Vermieter sie maximal um 75 Cent erhöhen und muß dann 3 Jahre warten, bis er die nächste Erhöhung durchführen kann, unabhängig von der tatsächlichen Höhe der Marktmiete, die vielleicht bei 10 oder 12 Euro liegt. Dabei wird er von einem Mietspiegel gekappt, der die Marktmiete nicht einmal abbildet, sondern weit darunter liegt. Wenn der Mietspiegel für diese Wohnung 5 Euro ausweist, dann kann nicht erhöht werden, auch wenn die Marktmiete bei 10 oder 12 Euro liegt und der Eigentümer schon mehr als 3 Jahre wartet. Das Eigentum ist also schon weitgehend entwertet.

Nun fordert die Bausenatorin, das weiter zu beschränken, den Verfassungseingriff also zu intensivieren. Ich halte das für bedenklich. Verfassungseingriffe sind immer nur dann verhältnismäßig, wenn es keine anderen Möglichkeiten gibt. Die gibt es hier aber zuhauf. Zum Beispiel könnte Wohnungsneubau gefördert statt blockiert werden. Man könnte Baulücken, von denen es in Berlin viele gibt, gezielt schließen und den Ausbau von Dachgeschossen vorantreiben. Häufig scheitern diese an Fluchtwegen, z.B. weil Außentreppen nicht erlaubt werden, oder am WEG-Recht, das insoweit eine Flexibilisierung bräuchte. Die Stadt könnte Brachflächen für Wohnungsneubau vergeben und dabei die Konditionen so anlegen, daß es für private Bauherren sinnvoll ist, diese Angebote zu nutzen. Man könnte Personal einstellen, das Bauanträge bearbeitet, so daß es keine 3 Monate bis zu 1 Jahr mehr dauert, sondern nur noch 1 Woche, bis Bauwillige eine Erlaubnis dazu erhalten. Man könnte Aufteilungen fördern (statt durch Milieuschutzgebiete zu verbieten), so daß Eigentumswohnungen entstehen, welche die Menschen zu aktuell niedrigsten Zinsen kaufen können. Der Senat könnte die Grunderwerbsteuer (in Berlin aktuell 6%) für den Erwerb bis 500.000 Euro oder für die ersten zwei Eigentumswohnungen (eine zum vermieten als Altersvorsorge, eine zum selber wohnen) abschaffen, um den Menschen zumindest steuerlich keine Steine mehr in den Weg zu legen, aus Miete in Eigentum zu wechseln. Man könnte darüber hinaus steuerlich oder durch Zuschüsse den Kauf von Wohneigentum fördern. Das reduziert zugleich die Altersarmut, die aktuell so problematisch wird, wenn Mieten steigen. Man könnte Mieter motivieren, Genossenschaften zu gründen und ihre Häuser den Eigentümern abzukaufen, hierzu auch Zuschüsse oder steuerliche Vergünstigungen für die Eigentümer, die sich darauf einlassen, um solche Modelle zu ermöglichen und zu fördern. Und schließlich könnte man auch die ganzen Eingriffe in den Wohnungsmarkt beenden und damit den Zwang, daß Vermieter immer das Maximum dessen, was noch erlaubt ist, ausschöpfen müssen, weil andernfalls die Beschränkungen kumuliert in eine Unwirtschaftlichkeit führen, die nicht mehr aufholbar ist.

Im Ergebnis könnte man das jetzige Zinsniveau nutzen, um in großem Stil die Menschen aus der Mietabhängigkeit zu befreien und ein Wohnen in Eigentum zu ermöglichen, der beste Schutz gegen Altersarmut und Fremdbestimmung. Eine aktive, an den Bedürfnissen der Bevölkerung ausgerichtete, langfristig denkende Politik würde das tun.

Wenn man das nicht will, dann könnte man immer noch die Lasten dort ansiedeln, wo sie hingehören, d.h. die Förderung des Sozialwohls bei der Allgemeinheit. Das bedeutet deutlich erhöhte staatliche Wohngeldzuschüsse für die, die unter hohen Mieten leiden. Das lokalisiert die Verantwortung da, wo sie liegt, und vermeidet Stimmungsmache gegen einzelne Wirtschaftsteilnehmer.

All das geht ohne Frontenbildung. Worauf warten wir?

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