Eine der wichtigsten mietrechtlichen Entscheidungen des BGH im vergangenen Jahr trägt das Az. VIII ZR 19/17. Sie findet wenig Beachtung, denn es ist kein Urteil, sondern ein Beschluß, und es gibt auch keinen Leitsatz, sondern nur inhaltliche Ausführungen. Es ging um Eigenbedarf, der Fall kam aus Berlin.
Worum ging es?
Die Vermieterin hatte gekündigt, weil sie die Wohnung als Zweitwohnung nutzen wollte. Sie teilte mit, daß sie sich regelmäßig mehrfach im Jahr aus beruflichen Gründen für längere oder kürzere Zeiten in Berlin aufzuhalten beabsichtigt und hierfür nicht mehr – wie in der Vergangenheit – auf eine Unterkunft im Hotel oder bei privaten Bekannten zurückgreifen, sondern einen privaten Wohnbereich vorhalten wolle, an dem sie sich zu diesen Zeiten, auch gemeinsam mit ihrem Ehemann, aufhalten könne.
Nun ist es so, daß die einschlägige gesetzliche Vorschrift (§ 573 Abs. 2 Ziffer 2 BGB) regelt, daß ein Vermieter wegen eigenen Bedarfs kündigen kann, wenn er die Wohnung für sich selbst „benötigt“. Ob ein „Benötigen“ vorliegt, wenn der Vermieter schon eine Wohnung hat und seinen Lebensmittelpunkt auch nicht verlagern will, sondern nur eine Zweitwohnung begründen will, war schon streitig. Hier kam hinzu, daß die Zweitwohnung nach der erklärten Absicht der Vermieterin die meiste Zeit des Jahres auch ungenutzt sein würde und nicht klar war, in welchem zeitlichen Mindestumfang die Vermieterin sie künftig in Anspruch nimmt.
Das Landgericht Berlin verurteilte den Mieter schließlich zur Räumung, ließ aber die Revision zum BGH zu, damit der dazu etwas sagt. Der Mieter legte die Revision dann auch ein.
BGH: auch eine Zweitwohnung kann „nötig“ sein
Der BGH kündigte an, die Revision des Mieters im Beschlußweg zurückzuweisen, weil die Sache eindeutig sei. Hierbei führte er aus, daß der Begriff des „Benötigens“ vom Bundesverfassungsgericht ( 1 BvR 2851/13) einerseits und dem BGH selbst (VIII ARZ 4/87 und VIII ZR 166/14) andererseits hinreichend geklärt ist. Er setzt
„ernsthafte, vernünftige und nachvollziehbare Gründe“
des Vermieters voraus, die Wohnung künftig selbst oder durch nahe Angehörige zu nutzen. Diese Kriterien sind auch bei dem Wunsch anzulegen, die Wohnung als Zweitwohnung zu nutzen. Das sei immer eine Einzelfallfrage, also nicht pauschal zu beantworten. Deswegen könne man auch nicht pauschal sagen, daß der Vermieter die Wohnung für eine Mindestzeit jedenfalls nutzen muß.
Die von der Vermieterin vorgetragenen Gründe hielt der BGH für ernsthaft, vernünftig und nachvollziehbar, so daß die Kündigung berechtigt war.
Die Art und Weise seiner Verfahrenswahl – Revisionszurückweisung per Beschluß wegen Eindeutigkeit der Rechtslage – und der Verweis auf seine frühere Entscheidung zum Az. VIII ZR 166/14 sind eine deutliche Erklärung des BGH an die Unterinstanzen, die Entscheidungsfreiheit des Eigentümers bei der Selbstnutzung von Immobilieneigentum ernst zu nehmen. Die Leitsätze der früheren Entscheidung lauteten:
1. Die Gerichte haben grundsätzlich zu respektieren, welchen Wohnbedarf der Vermieter für sich oder seine Angehörigen als angemessen sieht. Sie sind daher nicht berechtigt, ihre Vorstellungen von angemessenem Wohnen verbindlich an die Stelle der Lebensplanung des Vermieters (oder seiner Angehörigen) zu setzen.
2. Der vom Vermieter geltend gemachte Wohnbedarf ist nicht auf Angemessenheit, sondern nur auf Rechtsmissbrauch zu überprüfen. Rechtsmissbräuchlich ist nicht schon der überhöhte, sondern erst der weit überhöhte Wohnbedarf. Die Wertung, ob der geltend gemachte Wohnbedarf weit überhöht ist, haben die Gerichte unter Abwägung der beiderseitigen Interessen anhand objektiver Kriterien unter konkreter Würdigung der Einzelfallumstände zu treffen.
3. Es lassen sich keine Richtwerte (etwa Wohnfläche) aufstellen, ab welcher Grenze bei einem Alleinstehenden von einem weit überhöhten Wohnbedarf auszugehen ist. Denn diese Beurteilung hängt nicht allein von der in Anspruch genommenen Wohnfläche oder der Anzahl der Räume ab, sondern von einer umfassenden Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls.
4. Macht sich der Vermieter den (ernsthaften) Wunsch eines alleinstehenden volljährigen Familienangehörigen zu eigen, einen eigenen Hausstand zu gründen und mit einem (langjährigen) Freund eine Wohngemeinschaft (keine Lebensgemeinschaft) zu bilden, und bemisst er auf dieser Grundlage den aus seiner Sicht angemessenen Wohnbedarf, ist diese Entscheidung von den Gerichten grundsätzlich anzuerkennen.
In dem zugrunde liegenden Fall hatten die Vermieter eine rund 130 qm große Wohnung für ihren studierenden Sohn gekündigt. Der BGH entschied: wenn es dafür nachvollziehbare Gründe gibt, dann ist das zu respektieren. Daß die entscheidenden Richter es selbst vielleicht anders handhaben würden, ist nicht maßgeblich, die Vermietergründe müssen nur ernsthaft, vernünftig und nachvollziehbar sein.
Wie man BGH-Entscheidungen im Internet findet:
Der BGH hat übrigens eine eigene Internetseite, auf der alle seine Entscheidungen im Volltext veröffentlicht werden. Sie ist kostenlos nutzbar. Wenn Sie links im Suchfenster bei Aktenzeichen „VIII ZR“ eingeben, erhalten Sie alle Entscheidungen des 8. Senats, der für das Wohnraummietrecht zuständig ist. Geben Sie „XII ZR“ ein, erhalten Sie die Entscheidungen des 12. Senats, der für das Gewerberaummietrecht zuständig ist. Beide Senate behandeln auch andere Rechtsgebiete, z.B. Familien- oder Abschiebesachen. Sie haben deshalb auch jede Menge Urteile und Beschlüsse zu solchen Angelegenheiten dazwischen. Mit etwas Suche findet man aber die Mietsachen, die einen interessieren, heraus.
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Buchhinweis
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