TinyHouses in der Praxis

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Die Idee.

Eine Wohnung für 100 Euro Miete im Monat im Jahr 2019 in Deutschland – das klingt utopisch. Dennoch gibt es ein paar junge Leute, die sich zum Ziel gesetzt haben, gerade das zu verwirklichen. Ich hatte gestern das Privileg, einen Vortrag von Van Bo Le-Mentzel von der TinyHouse University zu hören, in dem er sein Konzept vorstellte und uns erklärte, für welche Situationen ein TinyHouse geeignet ist und in welchen Situationen nicht.

Interessant und für mich neu war, daß Van Bo „Wohnen“ nicht isoliert betrachtet, sondern als einen Teil von „Leben“. Die meiste Zeit sind junge Menschen nicht in ihren vier Wänden zu Hause, sondern woanders – in der Uni oder auf Arbeit, bei Freunden, im Park, auf Partys, einer Bibliothek oder einem öffentlichen Platz oder Café, wo es WLAN gibt. Wenn sich Wohnen auf 6,4 qm eng anhört, so nur, wenn man nicht einbezieht, daß das Leben ganz überwiegend nicht in diesem Raum stattfindet. Man schläft dort, hat Sachen dort und kann sich darin zurückziehen. Braucht man mehr?

Faszinierend ist, wie sich bei Van Bo eine Wohnung von 40 qm irre groß anhört.

Praktische Hürden, z.B. der Standort

Das Konzept, Stauraum für Dinge gegen Lebenszeit zu tauschen, ist sehr attraktiv, bedenkt man, welche enormen Beträge ansonsten für Miete erarbeitet werden müssen, selbst für kleinere Flächen. Das TinyHouse-Konzept hat allerdings seine praktischen Hürden. Die größte ist die Frage, wo man sich damit hinstellt: öffentliches Straßenland – verboten. Parkplätze – eigentlich auch verboten, außerdem wenig attraktiv. Privatgrundstücke? Muß man erst einmal haben oder jemanden finden, der einem erlaubt, sich auf sein Grundstück zu stellen und dort zu wohnen. Campingplätze? Gibt es in der Stadt nicht und ein Dauerwohnen wäre dort ebenfalls nicht erlaubt. Frischwasser, Abwasser, Stromanschluß, Heizung, Internet? Alles technische Fragen, aber will man nicht konstant in Campingatmosphäre hausen und Kanister schleppen, ist es auch eine Standortfrage, die sich in Großstädten kaum klären läßt.

Also ziehen die Vorreiter der Idee als Nomaden in einer rechtlichen Grauzone von Projekt zu Projekt und einem Platz zum nächsten.

nicht skalierbar

Praktische Grenzen findet das Konzept schließlich, wenn man es skaliert. Stellen wir uns vor, die TinyHouse-Bewegung wird groß, hunderttausende wollen den Traum vom kostenlosen Wohnen in den eigenen vier kleinen Wänden verwirklichen und stehen dann mit ihren Containerwagen überall auf den Straßen, an Waldrändern, auf öffentlichen Plätzen, bei Parkanlagen, kurz: der öffentliche Raum wird von denjenigen in Beschlag genommen, die sich ein solches Häuschen leisten können. Man könnte auch sagen: der öffentliche Raum wird mit neuem Leben erfüllt. Ist das attraktiv? Wollen wir das? Wenn man genauer darüber nachdenkt, gibt es das Konzept seit Jahrhunderten: zu Wohnraum ausgebaute Zirkuswagen, Zigeunertrecks, mobile Gemeinschaften, in denen jeder sein eigenes kleines Reich hat, die aber als Gemeinschaft angelegt sind. Neu ist unserer Tage nur die Isolierung: jeder baut seine individuelle Lösung für sich und sucht dann allein nach einem geeigneten Ort. Düster.

effizienter WG-Grundriss: das Co-Being House

Die Leute von der TinyHouse University haben das erkannt und das Konzept weiterentwickelt zum „Co-Being House“ – einem Quartier mit Apartments in TinyHouse-großen 6,4 oder – für Platzverschwender – doppelt so großen 12,8 qm, Bad und Küche inklusive. Die Apartments umgeben eine große Gemeinschaftsfläche, die als Wohnraum dient und frei gestaltbar ist. Leben in Gemeinschaft, und dennoch hat jeder seinen eigenen Rückzugsraum, das ist stationäres Zigeunerleben. Es ist genau das, was heute häufig fehlt: die Isolierung der Stadt aufbrechen und gemeinsam sein, ohne die eigene Privatheit aufgeben zu müssen. Das funktioniert für Studenten wie für Senioren gleichermaßen und Familien, die es sich zutrauen, könnten darin wohl ebenfalls glücklich werden. Laut Van Bo hat das Studentenwerk in Schlachtensee reges Interesse – ich fände es prima, wenn das Co-Being House dort verwirklicht würde, als vorzeigbare Vorlage für weitere solche Projekte und als Testobjekt für Vor- und Nachteile.

Fazit

Mein Fazit zum TinyHouse: für bestimmte Lebensphasen eine tolle Idee, als Alternative zum „normalen“ Wohnen aber nicht. Spätestens wenn die Kinder schulpflichtig werden, ist ein Nomadenleben vorbei. Fazit zum Co-Being-House: ein WG-Konzept mit effizientem Grundriss. Wenn die Bewohner einander selbst aussuchen und nicht von einem Dritten bestimmt werden, kann das eine der besten vorstellbaren Wohnformen sein. Wenn Menschen miteinander leben müssen, die sich nicht leiden können, wäre das auf Dauer wohl zu eng.

Bücher zum Thema

Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Büchern, teils mit wunderschönen Fotos, zu den kleinen Häusern. Durchaus auch für „normale“ kleine Wohnungen interessant sind die Stauraumkonzepte, hier kann man sich viele gute Anregungen für intelligente Lösungen holen.

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