Die Berliner Zeitung berichtet gleich zwei Mal (hier und hier) darüber, daß der Bezirk Mitte ein Vorkaufsrecht zur Rathenowerstraße 50 ausübt, ein Wohn- und Geschäftshaus mit 15 Wohnungen. Sie schreibt:
„Der neue Eigentümer hatte zuvor das Angebot ausgeschlagen, eine sogenannte Anwendungsvereinbarung zu unterzeichnen. Damit hätte er sich vertraglich verpflichtet, die Ziele des Milieuschutzes einzuhalten. Auf bauliche Veränderungen, die in der Debatte als „Luxussanierung“ bezeichnet werden, hätte er dann verzichten müssen.“
Problematisch hieran ist vieles. Zunächst ist in einem Milieuschutzgebiet eine „Luxussanierung“ ohnehin nicht erlaubt. Alles, was den Wohnwert erhöht, wird von der betreffenden Milieuschutzverordnung unter einen Genehmigungsvorbehalt durch das Bezirksamt gestellt und die Baugenehmigung hierfür wird prinzipiell nicht erteilt. Die Rathenower Straße liegt im Erhaltungsgebiet „Birkenstraße“, die Satzung finden Sie hier, eine Übersichtskarte hier und eine Übersichtskarte über alle fünf Gebiete in Mitte/Wedding hier. Auf seiner Webseite schreibt das Bezirksamt Mitte, was ein Milieuschutzgebiet bedeutet:
„In Milieuschutzgebieten bedürfen der Abriss, die Änderung (insbesondere Modernisierung und Grundrissänderungen) oder die Nutzungsänderung von Wohngebäuden einer Genehmigung. Zusätzlich gilt im Land Berlin in Milieuschutzgebieten ein Genehmigungsvorbehalt für die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Das Bezirksamt prüft im Einzelfall, ob durch die beantragten Maßnahmen die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aufgrund von Verdrängung gefährdet ist. Wenn eine Verdrängungsgefahr besteht, können die Maßnahmen versagt werden.
Welche Maßnahmen können die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aufgrund von Verdrängung gefährden?
– Der Abriss von Wohngebäuden bzw. die Umnutzung oder Grundrissänderungen von Wohnungen (z. B. Wohnungszusammenlegung)
– Die Modernisierung von Wohngebäuden oder Wohnungen übersteigt den zeitgemäßen Ausstattungszustand einer durchschnittlichen Wohnung.
– Die energetische Modernisierung von Wohngebäuden oder Wohnungen übersteigt die Mindestanforderungen der Energieeinsparverordnung (EnEV).
– Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, wenn sie durch die im Gesetz vorgesehenen Ausnahmetatbestände nicht gerechtfertigt ist.“
Das bedeutet, daß eine „Luxusmodernisierung“ hier nicht möglich war. Wenn die Berliner Zeitung titelt: „Mitte nutzt Vorkaufsrecht und verhindert Luxussanierung“, dann wird einerseits eine Bedrohung und werden andererseits Zusammenhänge suggeriert, die es nicht gibt.
Der nächste problematische Punkt ist, daß der Bezirk das Vorkaufsrecht gar nicht ausüben darf bzw. daß er gar keins hat. Ich habe hier dazu näher berichtet. Das Landgericht Berlin urteilte schon vor einem Jahr, daß ein Vorkaufsrecht in Fällen wie dem vorliegenden nicht besteht (LG Berlin vom 26.04.2017, Az. O 2/15 Baul, siehe auch hier und hier und hier). In dem zugrunde liegenden Fall ging es um drei Grundstücke im Bezirk Schöneberg, das Land Berlin hatte den Vorkauf zugunsten der Gewobag ausgeübt. Das Landgericht nutzte die Gelegenheit des Urteils, grundsätzliche Leitlinien für die Ausübung städtischer Vorkaufsrechte zu formulieren. Danach kann ein Vorkaufsrecht nur ausgeübt werden, wenn
- entweder das Grundstück a) nicht entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans oder b) nicht entsprechend den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahmen bebaut und genutzt wird, und
- das Gebäude Mißstände oder Mängel aufweist, die dazu führen, daß es a) nicht mehr den Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse entspricht oder b) sein bestimmungsgemäßer Gebrauch oder das Straßen- oder Ortsbild erheblich beeinträchtigt oder erneuerungsbedürftig ist und wegen seiner geschichtlichen oder künstlerischen Bedeutung erhalten bleiben soll.
Schon das erste Kriterium dürfte in nahezu allen Fällen, in denen sich das Land Berlin in den Verkauf von Mietshäusern dazwischensetzen will, nicht vorliegen. Normalerweise entspricht das Vorhandensein eines Mietshauses dem Bebauungsplan, andernfalls gäbe es das Haus dort nicht. Auch wird sein Vorhandensein idR. den städtebaulichen Zielen und Zwecken entsprechen, es sei denn, das Land will das Haus abreißen und eine Autobahn da langbauen o.ä.
Das bedeutet, daß Berlin kein Vorkaufsrecht hat, wenn es das Haus einfach als Mietshaus selbst weiter betreiben will. Genau das ist aber erklärtes Ziel in der Rathenowerstraße 50: die Mieten sollen nicht erhöht und das Haus nicht in Eigentumswohnungen aufgeteilt werden, sondern es soll alles so bleiben, wie es ist.
Das Bezirksamt Mitte ignoriert sein eigenes Landgericht, der Eigentümer/Käufer wird in einen Prozeß gezwungen. Man verläßt sich darauf, daß das Verwaltungsgericht mit Asylsachen so überlastet ist, daß eine Entscheidung frühestens in 5 Jahren ergeht. So schafft man Fakten.
Zurück zum Zeitungsartikel: auch die Behauptung, der Bezirk habe mit einer Abwendungsvereinbarung den Investor auf die Ziele des Milieuschutzes verpflichten wollen, ist falsch. Eine solche Vereinbarung wäre für den Bezirk nicht nötig, da der Investor geltendes Recht, also die betreffende Erhaltungssatzung, ohnehin einhalten muß. Das, was in einer sog. „Abwendungsvereinbarung“ geregelt wird, geht über den Inhalt der Erhaltungssatzung hinaus. Hier sollen sich Immobilienkäufer Konditionen unterwerfen, die in Gesetzesform verfassungswidrig wären, weil sie derart weit in das Eigentum eingreifen, daß es vollständig ausgehöhlt würde. Zum Beispiel gehört dazu idR. eine dauerhafte Aufteilungssperre, eine Verpflichtung, auf Dauer vom Bezirk (willkürlich) festgesetzte Mietobergrenzen einzuhalten, dauerhaftes Absehen von Modernisierungen auch nach Ablauf aller gesetzlichen Fristen. Inhaltlich geht das so weit, daß der Eigentümer zwar formal Eigentümer bleibt, de facto aber keinerlei eigene Entscheidungsbefugnisse mehr hat. Er darf die Verwaltungsarbeit leisten und das Geld ausgeben, das nötig ist, um das Gebäude für seine Nutzer zu erhalten. Alles andere darf er aber nicht.
Da das als gesetzliche Regelung unter Geltung des Grundgesetzes nicht implementierbar ist, sollen sich die Käufer „freiwillig“ solchen Beschränkungen unterwerfen, eben mit einer Abwendungsvereinbarung, in der alle diese Dinge aufgelistet sind. Weigert sich ein Käufer, wird ihm durch Vorkauf das Grundstück entzogen.
Durch den Zugriff der öffentlichen Hand auf das Grundstück wird die Situation der Bewohner jedenfalls nicht einmal verbessert. Die Regeln des Milieuschutzes hätten auch ohne den Vorkauf gegolten. Zweck des Zugriffs ist also nicht eine Sicherstellung der Rechte der Bewohner, die schon vorher sichergestellt waren, sondern positive Presse für den SPD-Baustadtrat. Immerhin das funktioniert – ohne den Zugriff auf die Rathenowerstraße 50 wäre er nicht namentlich in der Öffentlichkeit erwähnt worden. So widmet ihm die Berliner Zeitung gleich zwei freundliche Artikel kurz hintereinander.
Am problematischsten ist, daß auf diese Weise keine einzige neue Wohnung geschaffen, sondern Geld fehlverwendet wird. Die öffentliche Hand gibt Mittel für den Ankauf einzelner bestehender Gebäude aus. Zugleich dauern Planungs- und Baugenehmigungsverfahren sehr viel länger als sinnvoll, weil nicht genug Personal da ist, Anträge zu bearbeiten. So wird die Wohnungsknappheit in Berlin nicht reduziert. Dafür verhindert man, daß Eigentumswohnungen entstehen, die für die Bewohner oder für die Bevölkerung generell als sinnvoller Teil der Altersvorsorge dienen könnten.
Die Berliner Zeitung berichtet über die Motive des Baustadtrates. Er teilt mit, daß ihm Bewohner des Hauses geschrieben haben: eine Studenten-WG, die gern billig wohnen bleiben möchte, eine Mutter mit Tochter, eine andere Frau, die dort aufgewachsen sei. Diese Einzelfallhilfe wäre edelmütig, wenn der Baustadtrat hier sein eigenes Geld ausgeben würde. Das macht er aber nicht, er gibt Steuergelder aus, die an anderer, für die Allgemeinheit sinnvollerer Stelle fehlen.
Buchhinweis
Das allgemeine gemeindliche Vorkaufsrecht aus § 24 BauGB und das spezielle Recht zu Erhaltungsgebieten nach § 172 BauGB und Nebengesetzen ist wenig kommentiert. Die aktuellen Texte zum öffentlichen Baurecht in Berlin sind immerhin in diesem Taschenbuch zusammengefasst.