Milieuschutzgebiete in Berlin

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So langsam verliert man ja den Überblick. Die IHK hat eine Google-Maps-Karte erstellt, die 40 Gebiete ausweist; die Webseite des Berliner Senats spricht momentan von 42 Gebieten und verlinkt auf eigenes Kartenmaterial aus dem Kataster.

Aber was sind Milieuschutzgebiete eigentlich?

Rechtliche Grundlage ist § 172 BauGB. Danach kann, vereinfacht gesagt, eine Gemeinde in einem Bebauungsplan oder in einer Satzung Gebiete bezeichnen, in denen der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen einer behördlichen Genehmigung bedürfen. „Gemeinde“ ist in Berlin der jeweilige Bezirk. Daß ein Erhaltungsgebiet mit einer Satzung festgelegt wird, bedeutet, daß für jedes einzelne der aktuell 42 Gebiete in Berlin eine eigene Satzung mit individuellen Regeln existiert. Die Satzungen können inhaltlich durchaus recht unterschiedlich sein. Um die genaue Rechtslage herauszufinden, muß man beim jeweiligen Bezirk die jeweilige Erhaltungssatzung recherchieren, die für das Haus einschlägig ist, um das es im Einzelfall geht. Zusätzlich zur jeweiligen Satzung gibt es sogenannte „Prüfkriterien“, nach denen die einzelnen Verwaltungen ihr Entscheidungsermessen ausüben. Informationen finden sich in unterschiedlichem Umfang auf den bezirklichen Webseiten: Friedrichshain-KreuzbergMitte, PankowTempelhof-SchönebergNeukölln,  Treptow-Köpenick und Lichtenberg.

Was muß genehmigt werden?

Zu den genehmigungsbedürftigen Maßnahmen gehören z.B. bestimmte Modernisierungen und die Zusammenlegung von Wohnungen, aber auch die Aufteilung des Gebäudes in Wohnungseigentum (siehe UmwandlungsVO Berlin). Ziel dieses Genehmigungsvorbehalts ist entweder „die Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebiets auf Grund seiner städtebaulichen Gestalt“ (sog. Erhaltungsgebiet) oder die „Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ (sog. Milieuschutz). Während ein Erhaltungsgebiet also die Bausubstanz adressiert, geht es bei einem Milieuschutzgebiet um die Menschen, die dort wohnen.

Nach welchen Regeln richtet sich das?

Die Unterscheidung führt zu unterschiedlichen Regeln. In einem Erhaltungsgebiet darf die Genehmigung nur versagt werden, wenn

„die bauliche Anlage allein oder im Zusammenhang mit anderen baulichen Anlagen das Ortsbild, die Stadtgestalt oder das Landschaftsbild prägt oder sonst von städtebaulicher, insbesondere geschichtlicher oder künstlerischer Bedeutung ist.“

Mehr sagt uns das BauGB dazu im wesentlichen nicht. In einem Milieuschutzgebiet ist der Katalog deutlich länger. Hier darf  die Genehmigung nur versagt werden, wenn

„die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus besonderen städtebaulichen Gründen erhalten werden soll. Sie ist zu erteilen, wenn auch unter Berücksichtigung des Allgemeinwohls die Erhaltung der baulichen Anlage oder ein Absehen von der Begründung von Wohnungseigentum oder Teileigentum wirtschaftlich nicht mehr zumutbar ist.“

Des weiteren ist die Genehmigung zwingend zu erteilen, wenn

1. die Änderung einer baulichen Anlage der Herstellung des zeitgemäßen Ausstattungszustands einer durchschnittlichen Wohnung unter Berücksichtigung der bauordnungsrechtlichen Mindestanforderungen dient,

1a. die Änderung einer baulichen Anlage der Anpassung an die baulichen oder anlagentechnischen Mindestanforderungen der Energieeinsparverordnung dient,

2. das Grundstück zu einem Nachlass gehört und Wohnungseigentum oder Teileigentum zugunsten von Miterben oder Vermächtnisnehmern begründet werden soll,

3. das Wohnungseigentum oder Teileigentum zur eigenen Nutzung an Familienangehörige des Eigentümers veräußert werden soll,

4. ohne die Genehmigung Ansprüche Dritter auf Übertragung von Wohnungseigentum oder Teileigentum nicht erfüllt werden können, zu deren Sicherung vor dem Wirksamwerden des Genehmigungsvorbehalts eine Vormerkung im Grundbuch eingetragen ist,

5. das Gebäude im Zeitpunkt der Antragstellung zur Begründung von Wohnungseigentum oder Teileigentum nicht zu Wohnzwecken genutzt wird oder

6. sich der Eigentümer verpflichtet, innerhalb von sieben Jahren ab der Begründung von Wohnungseigentum Wohnungen nur an die Mieter zu veräußern.

In beiden Gebieten ist, dem Wortlaut nach, die Genehmigung die Regel und das Verbot die Ausnahme im Einzelfall. In der Praxis wird es freilich umgekehrt gehandhabt: erst einmal ist alles verboten, es sei denn es wird ausnahmsweise erlaubt. So müßte bspw. für eine Genehmigungsversagung in einem Milieuschutzgebiet zu jedem einzelnen Bauantrag geprüft werden, ob

die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus besonderen städtebaulichen Gründen erhalten werden soll

und das beantragte Vorhaben das gefährdet. Man müßte also sowohl etwas über die „Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ wissen als auch „besondere“ (nicht nur „einfache“) städtebauliche Gründe haben, daß diese konkrete Zusammensetzung nicht beeinträchtigt wird. Auf den Webseiten der Bezirke findet man dazu nichts. Hier wird ganz offen damit geworben, daß es sich bei den Erhaltungssatzungen um sozialen Mieterschutz handelt. Weder die Zusammensetzung der Mieterschaft noch besondere städtebauliche Gründe, die nicht genannt werden, scheinen eine Rolle zu spielen.

Mieterschutz ist etwas völlig anderes als der Schutz der „Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“.

Das Leben ist nicht statisch, ein Student wird nach seinem Abschluß berufstätig, gründet eine Familie, will fürs Alter vorsorgen und vielleicht dann auch mal eine Eigentumswohnung kaufen, um darin nicht mehr zur Miete zu leben. Welche Lebensphase ist hier schützenswerter als die anderen? „Wohnbevölkerung“ sind nicht nur die Mieter, sondern auch die dort wohnenden Hauseigentümer und die Menschen in Eigentumswohnungen. Nicht der einzelne Bewohner soll geschützt werden, sondern die Zusammensetzung der dort wohnenden Bevölkerung, und das auch nicht aus finanziellen, sondern aus städtebaulichen Gründen. Mit Mieterschutz hat das nichts zu tun.

Die Prüfkriterien der Bezirke sind ebenfalls rechtlich schwierig. So versagt Friedrichshain-Kreuzberg generell den Anbau eines Erstbalkons mit mehr als 4 qm oder den Anbau von Zweitbalkonen. Ebenso wird generell eine Videogegensprechanlage untersagt oder eine Einbauküche. Das gilt auch dann, wenn ein Wohnungseigentümer in seiner eigenen, von ihm selbst bewohnten Wohnung eine Einbauküche ein- oder einen Balkon anbauen will! Ob so etwas das Milieu stört, ist doch sehr zweifelhaft.

Gleichwohl funktioniert das, die Bezirke entscheiden so und nennenswerter Widerstand regt sich nicht. Gegen Fehlentscheidungen steht der Verwaltungsrechtsweg offen. Ein Verfahren dauerte laut Jahresbericht 2017 der Präsidentin des Verwaltungsgerichts im Jahr 2016 im Schnitt 9 Monate, wobei in 2017 nach eigener Angabe nahezu alle Kammern mit Asylsachen beschäftigt waren. Und in der Tat gehen weniger eilige Dinge nicht recht voran: ein Zweckentfremdungsverfahren, das ich für einen Mandanten im Verwaltungsprozeß führe, stammt z.B. aus 2015 und ein Termin für eine mündliche Verhandlung ist noch nicht anberaumt. Und das ist nur die I. Instanz.

Daß Rechtsschutz gegen fehlerhafte Verwaltungsentscheidungen so lange dauert, hat in der Praxis zur Folge, daß Investitionen erst gar nicht mehr versucht werden. Für die Entscheidung, ob eine Immobilie erworben und entwickelt wird, bedarf es einer planbaren Perspektive. Die ist in Erhaltungsgebieten nicht vorhanden. Ein Haus zu kaufen, ohne vorab zu wissen, ob ein Konzept überhaupt umsetzbar ist und wenn ja, wann, ist wenig attraktiv. Und so werden die Familien, die aus Miete in Wohneigentum wechseln wollen, weiterhin wegziehen müssen. Einen empirischen Beleg, daß das dem Schutz der Milieus wirklich dient, habe ich nicht gefunden.

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